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„Vegan sein ist etwas sehr Starkes und Männliches“

Foto: André Gosselin

 

Dicke Wumme, halbnackte Frauen, harte Sprüche – Vega beherrscht das Rapper-Repertoire perfekt. Und bricht das Klischee: Er trinkt lieber Smoothies als Vodka und isst Döner nur aus Sojafleisch. Wie kann man als Veganer in der Gangsta-Rap-Szene überleben? Katrin Kasper hat für das VEGANMAGAZIN nachgefragt. 

 

Dein neues Album heißt „Locke“, wie Dein Spitzname. Was ist Deine Botschaft?

Jeder Song ist eine emotionale Momentaufnahme. Dieses Deutsch-Rap-Hiphop-Ding bringt es auch mit sich, dass es Songs gibt, die inhaltlich gar nicht so eine Tiefe haben. Sie spiegeln einfach einen inneren oder fiktiven Kampf wider, manchmal wird einfach nur geprahlt. Aber es gibt auch politische Songs, zum Beispiel „Schwarz-Weiß“ mit Moses Pelham. Oder emotionale: Bei „Alles beim Alten“ kämpfe ich mit meinen inneren Dämonen. Natürlich wünsche ich mir, dass jeder, der das hört, unterhalten wird – und es vielleicht das eine oder andere Mal zum Nachdenken bringt oder hilft, eigene Wut loszuwerden.

 

Früher hast Du ziemlich plakativ „Hau auf die Fresse“ gerappt. Später dann, dass Du weg willst von der Straße. Wie kam es zu dem Sinneswandel?

Ich glaube, der Wunsch, da rauszukommen, besteht bei jedem, der einen Straßenhintergrund hat. Man kommt nur manchmal in so ein Fahrwasser, wo man die Art und Weise, wie man da miteinander umgeht, anfängt zu glorifizieren und schönzureden. Aber wir haben auch schon immer die Idee gehabt, mit unserer Musik ein Business aufzubauen, von dem unsere Leute – also Freunde, Jungs aus derselben Gegend – dann alle essen und ihre Miete bezahlen können. Natürlich hilft auch das Erwachsenwerden und damit der Reifeprozess, zumindest ab und an ein bisschen ruhiger zu werden.

 

Du benutzt in Deinen Texten viele Schimpfwörter. Kann man damit heute überhaupt noch jemanden schocken? Oder wozu sind sie gut?

Für mich sind viele Wörter tatsächlich einfach so Kunstformen. Es ist auch gar nicht das Ziel, damit jemanden zu schocken. Wenn ich das wollte, würde ich andere Sachen sagen. Es ist einfach Teil meiner Sprache – das ist wahrscheinlich schwer zu verstehen für jemanden, der nicht aus dieser Szene kommt. Und ich verstehe auch, dass das dann total irre wirken kann. Für mich ist das aber nicht negativ behaftet.

 

Und die mit Geldscheinen drapierten nackten Frauenkörper in Deinen Videos? Wie ist das gemeint?

(Überlegt.) Ja, Sexismus ist ein sehr schwieriges Thema – und die Art und Weise, wie Frauen dargestellt werden im Deutsch-Rap. Ich hab darauf leider auch keine gute Antwort. Das Thema ist für mich sehr fiktiv, so wie ein Film. Aber es spiegelt natürlich trotzdem auch unverblümt die Welt wider, in der wir aufgewachsen sind.

 

Und wie bist Du aufgewachsen?

Ich war seit meiner Jugend sehr viel im Frankfurter Bahnhofsviertel unterwegs, immer vom Rotlicht umgeben. Auf der anderen Seite bin ich in so einem Dreiergespann von meiner Mutter, meiner Oma und meiner Uroma aufgewachsen, ohne männlichen Gegenpol. Mir ist deshalb natürlich schon bewusst, wie man eine Frau in der „echten Welt“ behandeln muss. Aber Deutsch-Rap hat einfach gar keinen Filter, und es ist eine Musik, die viel aus sozial schwächeren Gegenden kommt.

 

Früher hast Du Deine Musik unter Deinem eigenen Underground-Label herausgebracht, heute bist Du bei Universal unter Vertrag. Wie passt so ein Konzern zu einem Gangsta-Rapper?

Die sind ja voll im Gangsta-Rap-Geschäft drin! (Lacht.) Ich hab da künstlerisch die komplette Freiheit: Ich gebe ein mehr oder weniger fertiges Album ab, und die bringen das dann raus. Natürlich hole ich mir die Expertise, wenn ich denke, sie ist angebracht. Mittlerweile sind auch fast alle Artists irgendwo angedockt – es macht ja Sinn, sich den stärksten Partner zu holen. Das ist eine Win-Win-Situation.

 

Ist Dein Künstlername „Vega“ eigentlich eine Anspielung auf Deine Ernährung?

Das ist reiner Zufall. Der Name kommt von einer meiner Lieblings-Filmfiguren – von Vincent Vega aus Pulp Fiction, dargestellt von John Travolta.

 

Du ernährst Dich seit sechs Jahren vegan. Was ist passiert?

Ich habe die Doku Earthlings gesehen. Ich bin generell ein sehr mitfühlender, emotionaler Typ. Und das hat mich einfach so aus der Bahn geworfen, dass ich gesagt habe: Okay, davon möchte ich kein Teil mehr sein. Aber es gab schon vorher mehrere Steps, wo ich mal acht Wochen vegan war, aber das war mehr gesundheitlich motiviert. Und ich habe meine Freundin kennengelernt, die schon Vegetarierin war.

 

Der Film allein hat dann gereicht?

Es waren sogar nur vier Minuten. Mehr konnte ich nicht anschauen. Es ist ein ganz verrücktes Gefühl, was da in mir aufkam – eine Mischung aus unendlicher Traurigkeit, aber natürlich auch Wut und Hilflosigkeit. Das war der letzte Tag, an dem ich Fleisch gegessen habe. Und für mich war klar, dass ich es nie wieder tun werde.

 

Wie mühsam war für dich die Umstellung auf Vegan?

Da musste man sich schon so ein bisschen reinfinden. Es gab ja damals vielleicht zehn Prozent vom heutigen Angebot. Ich habe die Attila Hildmann-Challenge gemacht, da war ich erstmal mit Rezepten versorgt. Die waren teilweise schon aufwändig, heute gibt es im Internet Millionen von einfachen Rezepten. Ich esse zum Beispiel sehr gerne asiatisch, arabisch, israelisch – da gibt es viele Möglichkeiten. Und Frankfurt war auch schnell gut aufgestellt mit Restaurants mit veganem Angebot.

 

Fühlst du dich heute fitter als früher?

Am Anfang habe ich zugenommen, durch das viele Herumprobieren. Und ich habe gemerkt, dass vegan nicht unbedingt gesund bedeutet. Zwar ist es auf jeden Fall besser als nicht vegan. Aber dieses ganze Gluten und Weißmehl rauben mir krass viel Energie. Über die Jahre bin ich da wohl sensibler geworden. Ich faste ab und zu oder ernähre mich mal einen Monat rohköstlich. Wenn ich jetzt morgens schon mit zwei Brötchen starten würde, könnte ich mich einfach direkt wieder schlafen legen.

 

Was isst Du denn so? Kochst Du selber?

Ich bin bei uns in der Küche die treibende Kraft – es gibt eigentlich nichts, was ich nicht schon gekocht habe. Das ist mein Hobby: ich esse gern und koche gern, das war schon immer so. Ich habe auch Gefallen daran, herumzuprobieren, wie ich alte Gerichte in vegan nachbauen kann.

 

Dein größter Erfolg?

Ich habe Jahre versucht, sowas wie Kohlrouladen nachzubauen. Und zwar so, dass das Innere so fest wird wie ich das von meiner Oma kannte. Man hat nämlich oft das Problem, dass sich der Fleischersatz vollsaugt, und dadurch wird es dann weich. Ich hab’s wirklich mit allen möglichen Varianten probiert – und jetzt hat es das erste Mal geklappt, mit dem Fleischersatz von Beyond Meat.

 

In Deinen Songs und Videos tauchen immer wieder die Ultras von Eintracht Frankfurt auf, Du bist selbst bekennender Hardcore-Fan. Halten die Dich da als Veganer nicht für total bekloppt?

Ich bin jetzt schon ein paar Jahre aus diesem ganz harten Kern raus – die Musik nimmt einfach sehr viel Zeit in Anspruch. Aber lustigerweise werde ich das öfter gefragt, und das zeigt auch, dass die Leute ein ganz falsches Bild von so einer Gruppierung haben. Man muss wissen, dass diese ganze Bewegung sehr politisch ist. Die Leute denken krass über alternative Lebensstile nach, und für viele ist vegan da gar nicht so weit entfernt.

 

Die Angst, von der Norm abzuweichen, kennst Du nicht?

Ich hatte das Glück, dass ich immer ein bisschen Ton angebend war in den Kreisen, in denen ich mich bewegt habe – egal, ob in meiner Clique, meinem Musik-Kosmos oder meinem Label. Deswegen habe ich diese Angst nicht, dass ich was Neues starte und Leute mich dafür belächeln könnten. Im Gegenteil: Beim Thema Essen war es für mich so klar, dass das nicht richtig sein kann, was da passiert, dass ich versucht habe, mein Umfeld zu überzeugen. Ich halte meine Freunde ja für intelligent und mitfühlend, sonst würde ich mich nicht mit ihnen umgeben. Und ein Großteil von denen hat dann auch das Fleischessen aufgegeben.

 

In der Hiphop-Szene geht es darum, Härte zu zeigen – als Zeichen von Macht und Männlichkeit. Wie passt das mit Deinem veganen Lebensstil zusammen?

Es gibt da ja auch sehr, sehr viele, die kein Fleisch essen. Egal, ob das jetzt Moses Pelham ist, Kool Savas, auch Xavier Naidoo. Für mich bedeutet Stärke, dass man Schwächere schützt. Und das muss ja quasi von ganz unten beginnen: kleine Kinder und Tiere. Deswegen ist vegan sein eigentlich was sehr Starkes und Männliches.

 

Auf Deinen Konzerten hast Du schon einen Infostand von PETA dabeigehabt, Einleger in Deinen Alben warben für die Doku Earthlings. Was bringt diese Art der Aufklärung?

Ich habe es ja am eigenen Leib erlebt: Ich war über 30 Jahre lang so disconnected von meinen Gefühlen, und vier Minuten eines Videos haben gelangt, um mich komplett umzukrempeln. Gerade dieser Earthlings-Flyer mit dem Slogan „Wie viel Wahrheit verträgst Du?“ challenged einen natürlich auch, was bei Rap-affinen Jugendlichen besonders gut passt. Viele haben mir geschrieben, dass sie darüber vegan geworden sind. Bei den Konzerten bin ich mir nicht so sicher: die Leute sind in einem anderen Modus, die stellen sich nicht an einen Stand und nehmen eine Broschüre mit. Du musst sie auch im richtigen Moment erwischen.

 

Hast Du auch mal Sorge gehabt, dass Fans Dir Deinen Aktivismus übelnehmen?

Ich versuche, das auf einem subtilen Weg zu machen. Dass ich die Leute nicht zu hart stresse. Aber es ist natürlich auch notwendig, ihnen so ein bisschen die Augen zu öffnen – im Rahmen meiner Möglichkeiten. Und ehrlich gesagt: Wenn sich jemand darüber echauffiert, dass ich das anspreche, dann ist mir das auch egal. Dass meine Musik wirtschaftlich erfolgreich ist und ich Fans habe, ist selbstverständlich sehr, sehr wichtig für mein Leben. Aber es gibt Sachen, die sogar noch wichtiger sind.

 

In Frankfurt betreibst Du ein veganes PopUp-Restaurant. Ist die Gastronomie Dein neues Standbein – oder auch Teil Deiner Mission?

Glücklicherweise ein Mix aus beidem. Wir haben da eine Location und verkaufen Tickets für ein veganes Menü mit Soul/Junk Food, die Rezepte sind alle von mir. Damit will ich auch die Leute erreichen, die nicht für das Emotionale empfänglich sind und einfach weiter Döner essen wollen. Denen kann ich jetzt sagen: „Okay, komm doch einfach mal vorbei und du kannst das essen, ohne geschmackliche Einbußen – plus: es ist kein Tier dafür gestorben.“ Und irgendwann kann ich damit dann hoffentlich auch Geld verdienen.

 

Geht es Dir nur um eine vegane Ernährung, oder achtest Du auch auf tierfreie Kleidung und Kosmetik – falls ein Rapper so etwas benutzen darf?

Shampoo und Creme gehen schon. Ich muss sagen, ich bin bewusster, was das betrifft, aber gerade Schuhe habe ich noch viele aus Leder. Das nervt mich auch total, aber ich bin in diesem Prozess noch nicht so weit fortgeschritten wie beim Essen. Aber klar, die Idee ist natürlich, das komplette Leben auf Vegan umzustellen.

 

Du rappst über das Leben auf der Straße, immer mit einem Bein im Knast. Besingst Du da nur ein Klischee, oder hast Du das wirklich erlebt?

Das ist schon meine Sicht auf die Dinge. Wir waren nachts immer auf der Straße unterwegs und haben relativ schnell Probleme bekommen. Ich habe eine Bewährungsstrafe gekriegt und hätte auch hinter Gittern landen können. Nur weil man eine Mutter zu Hause hat, von der man durchaus genügend Liebe bekommt, bedeutet das nicht, dass es keine Möglichkeiten gibt, trotzdem abzurutschen.

 

Was hat Dich gerettet?

Ich glaube, weil ich relativ schnell etwas hatte, was mein absoluter Traum war: die Musik. Ich wusste, um das zu erreichen und wachsen zu lassen, was ich wollte, muss ich gewisse Voraussetzungen erfüllen. Und da muss ich andere Sachen hintenanstellen, zum Beispiel das draußen Rumhängen und Scheißebauen. Dann habe ich auch meinen Hund bekommen – ein ganz anderes Level von Verantwortung. Ich hatte eine Freundin und Leute, die im Musik-Kontext auf mich vertrauten. Je mehr Lebewesen auf dich zählen, desto mehr verringert sich auch der Raum für Quatsch im Kopf.

 

Wie bist Du denn auf den Hund gekommen?

Ich hatte mal einen Rhodesian Ridgeback auf der Straße gesehen. Mit so einem wunderschönen Tier wollte ich unbedingt zusammenleben! Jetzt habe ich Simba schon seit acht Jahren, er ist auch vegan. Wir müssen nur ein bisschen Taurin zufüttern, denn er ist ein sehr, sehr großer Hund. Aber er wirkt total fit!

 

Du bist auf dem Dorf aufgewachsen. Wie war das für Dich?

Meine Oma hat mich noch mit einer Kanne Milch holen geschickt. Jeden Tag musste ich ein großes Glas trinken! Die Leute haben sich auch sehr fleischlastig ernährt. Ich glaube, dass das einer der Gründe war, weshalb ich als Kind so oft krank war: Ich war Asthmatiker, hatte alle möglichen Allergien und war auch sonst sehr wackelig auf den Beinen. Ständig wurden mir Antibiotika verabreicht – ich vermute, dass ich deshalb später auch so viel zugenommen habe. Aber generell mag ich das Dorfleben.

 

Wenn Du selbst eines Tages Kinder hast: Was würdest Du ihnen mit auf den Weg geben wollen?

Dass sie mit der veganen Ernährung aufwachsen und es eine totale Normalität für sie darstellt. Ich glaube, dann wird es für sie komplett absurd sein, Fleisch oder Milchprodukte zu essen, da musst du gar nicht mehr viel erklären. Und ich wünsche ihnen –  wie eigentlich allen Menschen – die Eigenschaft, die mir am wichtigsten ist: Mitgefühl. Das ist der Schlüssel zu einem guten Zusammenleben, egal zwischen wem. Wenn man ab und zu mal versucht, sich auf den Stuhl des anderen zu setzen – das relativiert meist schon den ganzen Konflikt.

 

 

Zur Person

Der Deutsch-Rapper Vega wuchs in einem Dorf bei Frankfurt auf. Die Mutter ist Deutsche, der Vater Italiener – er verließ die Familie kurz nach Vegas Geburt. Mit bürgerlichem Namen heißt Vega André Witter. Der 36-Jährige ist seit mehr als zehn Jahren im Musikgeschäft, seine Alben erzielten Spitzenplätze in den deutschen Charts. Im März erschien „Locke„, Vegas sechstes Soloalbum. Er ist auch in der Fußball-Fanszene aktiv und war Teil der Ultra-Bewegung bei Eintracht Frankfurt. In Frankfurt betreibt Vega den „Vegan Soul Food Club“, ein Popup-Restaurant in Zusammenarbeit mit der Kochwerkstatt Wiesbaden.

 

 

Das Interview erschien zunächst im VEGANMAGAZIN.

katrin