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„Ich möchte Umstände machen“

Er spricht schnell, denkt noch schneller und nimmt kein Blatt vor den Mund: Promi-Stylist Armin Morbach über schlaue Models, Fleisch als Schwanzverlängerung und bayerische Zwetschgendatschi.

 

 

Schönheit kommt von innen, heißt es. Siehst Du Menschen an, ob sie vegan leben?

Ich sehe an der Haut, ob jemand Fleisch isst oder nicht. Das beste Beispiel bin ich selbst: Seit ich meine Ernährung vor zehn Jahren auf vegan umgestellt habe, habe ich keine Ekzeme mehr, keine Schuppenflechte und kaum noch Pickelchen.

 

Inwieweit hat sich das in der Beauty-Branche schon rumgesprochen?

Es gibt schon einen großen Umbruch. Immer mehr Models sind vegan oder zumindest viel, viel bewusster in ihrer Ernährung. Mein Fotostudio ist komplett vegan und viele Mädchen sind total happy, dass es bei uns ein veganes Catering gibt. Wenn wir eigene Produktionen machen, ist auch die Kosmetik vegan. Es gibt bei mir keinen Pelz und wir versuchen, das Leder wegzulassen. Wenn da irgendwo eine Applikation ist, kann ich dem Designer natürlich nicht vorschreiben, sie wegzulassen…

 

Du bist Deutschlands bekanntester Stylist, machst Topmodels wie Naomi Campbell, Eva Padberg und Toni Garrn die Haare. Was fasziniert Dich daran?

Es ist die Welt, die am schnellsten adaptiert. Bei aller Oberflächlichkeit geht es ja immer auch um die neuesten Trends. Und das macht die Branche sehr weltoffen. Wenn ich jeden Tag in eine Bank gehen und meinen Kollegen erklären müsste, warum man kein Salamibrötchen essen sollte, wäre ich zu sehr Apostel. Damit will ich mich nicht ständig auseinandersetzen müssen. Aber die Mädels da draußen sind 16, 17 Jahre alt und extrem schlau. Für die ist Fleischessen gar kein Thema mehr.

 

Ist vegan unter Models nicht oft mehr so eine Art Diätversuch, um dünn zu bleiben?

Überhaupt nicht, vegan ist bei ihnen eine Einstellung. Viele Mädchen kommen ins Studio und bringen ihre Karotten mit, weil sie davon ausgehen, dass es mittags Spaghetti Bolognese gibt. Ich glaube, dass sich das Bewusstsein sehr geändert hat. Ich zähle sehr darauf, dass sich die Welt durch die Jungen ändert.

 

Bekannt wurdest Du als Jurymitglied von „Germany’s Next Top Model“. Junge Frauen bewerten und aussortieren – hattest Du Skrupel?

Nö. Ich finde, das ist ein Job. Wenn ein Mädchen keine 90-60-90-Maße hat, nicht fotogen ist oder nicht laufen kann, dann gehört sie da auch nicht hin. Ich gehe ja auch nicht zum Arzt und frage, ob er sein Handwerk gelernt hat. Und wenn ich Model werden will, muss ich eben manches mitbringen. Body Positivity finde ich super – aber wenn eine Kollektion für den Laufsteg genäht wird, in Kleidergröße 36, kann ich nicht mit 38 kommen.

 

Klingt ganz schön hart …

Ich habe selbst sehr schwer gearbeitet, um dort hin zu kommen, wo ich bin. Und wenn Du Deinen Job nicht ausfüllen kannst, bringt er Dir ja auch nichts. Dann muss man dem Mädchen den Traum auch nehmen – alles andere wäre verlogen. Ich habe so viele Mädchen begleitet – Toni Garrn, Julia Stegner und wie sie alle heißen. Du hast gesehen, sie sind wie ein roher Diamant, den schleift man ein bisschen, dann ist er super. Und es gibt Mädchen, da schleifst Du und schleifst Du, und es bringt nichts. Da muss man irgendwann als fairer Partner in der Branche sagen: „Du, es tut mir leid – auf Wiedersehen!“.

 

Und warum bist Du nach der ersten Topmodel-Staffel ausgestiegen?

Weil ich einfach keine Mädchen für den roten Teppich oder Influencerinnen suchen wollte, sondern Models. Aber darum geht es bei der Sendung gar nicht. Unsere damalige Gewinnerin Lena Gehrke macht ihre Sache gut – aber sie ist eben Moderatorin geworden.

 

Das Mode-Business ist bestimmt von Äußerlichkeiten. Ist das nicht ein Widerspruch zum veganen Lifestyle?

Dank visueller Medien wie Instagram werden wir heutzutage so informiert, wie es vor zehn Jahren gar nicht möglich gewesen wäre. Ich lebe deshalb vegan, wohne in einer WG, reise CO2-neutral, möglichst mit der Bahn. Viele sagen zu mir, das geht doch nicht, und warum machst Du das? Aber ich glaube, man kann mit einer weichgespülten veganen Einstellung nicht die Welt verändern. Ich sehe das so: Ich bin als Gast hier auf der Erde und habe ein schönes Zimmer gekriegt. Das richte ich mir ein mit allem, was dazu gehört, und versuche, es so sauber wie möglich zu halten. Und wenn ich es irgendwann verlasse, möchte ich sagen können: „Da klebt kein Blut an der Wand und es ist frisch gelüftet.“

 

Du warst ja erst Vegetarier. Wie kam’s zur Umstellung auf vegan? 

Ich war nur ein halbes Jahr Vegetarier. Dann habe ich gemerkt, dass ich zu dick werde. Ich aß nur noch Nudeln und bekam Durchfall von den Milchprodukten. Der Arzt meinte, ich sollte Laktose-Tabletten nehmen. Was ich merkwürdig fand, er hätte ja auch sagen können: „Versuch mal, vegan zu leben. Vielleicht verträgst Du Milch einfach nicht.“ Aber das ist ja zu billig, zu einfach. Jedes Rezept bringt ein paar Euro – das ist Geldmacherei. Ich habe mich dann einfach selbst informiert und Leute wie Joaquin Phoenix kennengelernt, der ja schon lange vegan lebt. Und mich dafür entschieden.

 

Wie ist es Dir bekommen?

Die Umstellung meines Körpers war wie ein Entzug – das erste halbe Jahr vegan war ich wie Christiane F.! Ich hatte Pickel, Durchfall, es ging mir beschissen! Ich dachte, ich vertrage kein Soja. Aber danach war es super! Nur so einen richtig leckeren Pudding, den vermisse ich manchmal. Oder eine Dampfnudel!

 

Dann bist Du nicht nur aus gesundheitlichen Gründen vegan geworden?

Nein. Ich bin extrem emotional und glaube, dass jedes Lebewesen eine Seele hat. Ich bin kein geschmacklicher Veganer, sondern ein komplett ethischer. Die Buletten meiner Mutter früher waren total lecker, es ist nicht so, dass ich die plötzlich nicht mehr mochte. Inzwischen weiß ich gar nicht mehr, wie das wäre, wenn ich da reinbeißen würde. Deswegen erschrecken mich die „Beyond Meat“-Burger sehr, weil sie wieder das Gefühl von Fleisch vermitteln. Das möchte ich gar nicht mehr, und 50 Prozent Fett möchte ich auch nicht.

 

Kurz nachdem Du vegan geworden bist, hast Du für eine Peta-Kampagne als „Frischfleisch“ posiert. Wie stark ist Dein Sendungsbewusstsein heute?

Ich bin da immer noch ganz offensiv: der faule Zahn, der beim Essen mit den Leuten diskutiert. Die wissen auch, dass sie nicht unbedingt Fleisch kochen, wenn sie mich einladen. Wenn ich mit einer Gruppe essen gehe, zahle ich nicht für Fleisch. Und wenn ich mittags Essen im Büro bestelle, darf sich jeder was aussuchen – aber es gibt vegan. Sogar meine Eltern, die aus Bayern kommen, essen bei mir kein Fleisch. Das ist auch eine Sache des Respekts. Und man kann heutzutage einfach nicht mehr sagen: „Nee, das stimmt nicht mit den Schweinen“ oder so, das ist ja alles belegt. Immer mehr Menschen kriegen dann einfach ein schlechtes Gewissen. Und ich sitze ja nicht bei mir zu Hause mit zwei Karotten und Salat, sondern gebe mir auch Mühe.

 

Was gibt es denn so im Hause Morbach?

Ich lebe in einer WG mit meinem Freund, den ich demnächst heiraten werde, und meinem besten Freund zusammen. Wir sind alle vegan. Der eine kocht gern asiatisch, der andere macht wahnsinnig tollen Salat und Beilagen. Ich bin für die bayerische Küche zuständig. Ich habe meine zehn, fünfzehn Gerichte, die variiere ich – zum Beispiel eine Nudelpfanne mit irgendwelchem Gemüse drin. Und ich backe auch Kuchen, sonntags gibt es Zwetschgendatschi. Mein Kühlschrank ist voll und es gibt alles – außer tierische Produkte. Wir vermissen nichts!

 

Viele Veganer wollen anderen keine Umstände machen und haben zum Beispiel Angst, im Restaurant nach den Zutaten zu fragen. Wie ist das bei Dir?

Ich möchte Umstände machen! Wenn keiner Umstände macht, ändert sich nichts. Das ist vielleicht unangenehm, aber es braucht Leute, die nerven. Egal, auf welchem roten Teppich: die Leute wissen, dass ich vegan bin. Ich habe auch schon einen offenen Brief an Patricia Riekel geschrieben, die frühere Chefredakteurin der Bunten. Dass ich nicht verstehe, wie wir Menschen mit einem Bambi auszeichnen für großes Umweltengagement, und danach gibt‘s Lachs, Tartar-Häppchen und Spanferkel.

 

Hast Du das nicht selbst jahrelang akzeptiert?

Ja, aber inzwischen bin ich radikal und sage: „Das ist auch meine Welt, nicht nur deine!“ Ich bin fünffacher Taufpate und möchte, dass meine Patenkinder auch noch glückliche Schweinchen sehen, saubere Meere haben und frische Luft. Und langsam werde ich richtig stinkig, weil ich finde, man kann’s nicht mehr so hinnehmen und sagen: „Ja, das ist halt so, was kann ich schon ändern?“ Wenn jeder so denken würde, würde sich nie etwas ändern!

 

Du wirbst unter anderem für Schwarzkopf – die Marke gehört zum Chemiekonzern Henkel, der auch Tierversuche durchführen lässt. Kein Problem für Dich?

Dieser Riesenkonzern macht vegane Shampoos, weil ich jahrelang mit denen gesprochen habe. Zum Vorstand habe ich die Albert-Schweitzer-Stiftung mitgebracht, wir haben über Tierschutz, Nachhaltigkeit und Trends geredet. Wie wir die Marke sympathisch darstellen. Jetzt sind die meisten Produkte vegan – und verkaufen sich wie geschnitten Brot.

 

Kommst Du mit Deiner Beauty-Zeitschrift „TUSH“ oder bei Werbe-Kampagnen für Konzerne manchmal in Gewissenskonflikte? Zum Beispiel, wenn wer nicht-vegane Kosmetik verkaufen will?

Bei Schwarzkopf habe ich mich stark gemacht, weil ich da seit 16 Jahren einen Vertrag habe. Anderen Konzernen kann ich nicht vorschreiben, sie müssten jetzt vegan sein. Ich kann in meinem Studio kleine Sachen machen, wie „Cruelty-free“-Makeup und veganes Essen. Und ich merke, das Umdenken ist überall da. Viele machen nur Tierversuche, weil sie nach China exportieren, wo das verlangt wird. Das kann ich nicht ändern, aber ich kann die Leute anstupsen. Und ich mache viel Kohle, stecke aber auch viel in Tierschutzprojekte, helfe Obdachlosen und fahre nachts selbst los, um Tauben zu retten. Das funktioniert nur, wenn ich Geld verdiene.

 

Hast Du auch schon lukrative Aufträge abgelehnt?

Mir hat mal ein Pelzhersteller 100.000 Euro angeboten für eine Anzeige und eine Fotostrecke in meinem Heft. Sehr viel Geld, aber das habe ich abgelehnt. Auch Alligatoren- und Schlangenleder gibt es bei mir nicht. Alles andere sind Sachen, die nur langsam funktionieren. Es freut mich natürlich, dass Burberry und Donatella Versace keinen Pelz mehr verwenden. Aber die Menschen haben noch nicht verstanden, dass auch Leder keine Abfallprodukt ist, sondern viel schlimmer als die Fleischindustrie.

 

Wie erreichst Du die Leute?

Ich packe sie bei ihrer Eitelkeit. Die Beauty-Branche ist sehr eitel. Und wenn ich sage, ich bin fast 50 und habe nichts machen lassen außer ab und zu eine Laserbehandlung, dann staunen die. Aber guck mal Jared Leto an, der schon ganz lange vegan lebt: Das sind diese neuen Gesichter, die dank ihrer Ernährung nicht altern, statt wegen irgendwelcher Operationen. Unsere Haut ist wie ein Barometer: Stress, Ernährung, Liebe – das sind alles Dinge, die extrem darauf einzahlen.

 

Viele Männer halten Fleischessen für männlich. Wie siehst Du das? 

Männer, die meinen, Fleisch zu brauchen, haben einen kleinen Schwanz. Oder zumindest gefühlt. Das hat irgendwas mit einem Minderwertigkeitskomplex zu tun, den ich nicht verstehe. Der stärkste Mann der Welt ist vegan und es gibt so viele vegane Männer, die super Sport machen und toll aussehen.

 

Hast Du Dich auch mental verändert, seit Du Dich vegan ernährst?

Ich war früher eher aufbrausend und bin schnell an die Decke gegangen. Jetzt bin ich viel ruhiger. Und hypersensibel: Ich kann kein Video gucken, wo ein Hund hinter Gittern sitzt. Da heule ich gleich, weil es mich einfach traurig macht – das war früher nicht so. Da bin ich vielleicht ein Weichei. Aber ich setze mich mit jedem Fleischesser an den Tisch und diskutiere das aus. Auch mit Armdrücken – ich bin weder dürr noch klapprig.

 

Laut Max-Planck-Institut warst Du eines der drei schlausten Kinder Deutschlands – aber Du hast mit 15 die Schule abgebrochen und eine Friseur-Lehre angefangen. Warum?

Ich bin auf dem Land zur Schule gegangen, wegen einer unerkannten Lese-Schreib-Schwäche hielt man mich für dumm. Bis das Max-Planck-Institut kam, das den Schlausten und den Dümmsten suchte – letzteren vermutete man in mir. Doch im Laufe jahrelanger Intelligenztests haben sie gemerkt, dass es eher umgekehrt war. Inzwischen wollte ich aber nicht mehr da sein, wo ich nur verarscht worden war. Und mit 15 wusste ich auch, dass ich schwul war – schwierig in einem Dorf mit 40 Einwohnern. Darum ging ich nach München und übernahm selbst das Ruder.

 

Du fotografierst auch, Deine Bilder hängen in Museen, sie sind oft verstörend: Models mit Gabeln in der Stirn, mit aufgerissenem Mund oder vermummt mit Reißverschluss. Ein Aufbegehren gegen glatte Schönheit?

Meine Bilder sollen polarisieren mit ihrer Aussage. Es geht um das Sprechverbot, oder dass Du erstmal überlegen solltest, bevor Du isst. Damit angefangen habe ich vor zehn Jahren, es war purer Zufall: Als mal kein Fotograf kam, habe ich einfach selbst die Kamera in die Hand genommen. Ich hatte gar nicht den Anspruch, Künstler zu werden. Als eines Tages der große Sammler F.C. Gundlach anrief, dachte ich erst, da will mich jemand verarschen. Doch er hat meine Bilder in seine Stiftung aufgenommen. Das war wegweisend: Ich hatte jemanden getroffen, der mich führt – der etwas in mir sieht und mir sagt, was ich wie ich machen soll. Das war total spannend.

 

Auch das Einkaufen musstest Du ja neu lernen. Wie und wo deckst Du dich ein?

Ich kaufe nur im Bioladen, nie im normalen Supermarkt. Bei Kleidung achte ich auf Fairtrade und trage keine Wolle. In meinem Kleiderschrank gibt es überhaupt nur Schwarz, Weiß und Grau (zückt das Handy und zeigt ein Foto mit monochromen T-Shirt-Stapeln). Und meine Schuhe sind aus Stoff – es gibt wenig coole vegane Schuhe. Wenn mir ein Freund zum Geburtstag aus Mitleid Lederschuhe schenkt, nehme ich sie an. Aber ich sage: nächstes Jahr bitte nicht mehr.

 

Und was bekommen Deine drei Hunde?

Sie bekommen manchmal Fleisch. Man könnte sie völlig vegan ernähren, aber sie sind viel draußen und haben den Trieb zu jagen. Ich selbst fände das zu eklig, aber mein Freund füttert ab und zu Pansen – ein Abfallprodukt. Wir würden nichts kaufen, wofür man schlachten müsste.

 

Der Beitrag erschien zunächst im Veganmagazin.

katrin