Mehr als zwei Millionen Abonnenten hat Rezo auf Youtube. Für seine Kanäle „Rezo“ und „Rezo ja lol! Ey“ produziert er lustige Videos – und wirbelt die Politik auf.
Wie fühlt es sich an, über Nacht eine nationale Berühmtheit zu sein?
Das kam ja nicht über Nacht, sondern entwickelte sich über ein paar Jahre. Den Sprung nach dem CDU-Video habe ich deshalb gar nicht als so unfassbar groß empfunden. Insofern fühlte sich das auch nicht besonders anders an.
Musik, lustige Tests und Partyspiele: bis vor wenigen Monaten hast Du vor allem Unterhaltung gemacht. Dann kam Dein Rant „Die Zerstörung der CDU“ – er wurde mehr als 15 Millionen Mal angeklickt. Wie erklärst Du Dir das?
Die Prämisse der Frage ist nicht gaaanz korrekt. Nach viel Unterhaltung und Musik kam erstmal ein langes analytisches Video über den Youtuber 2Bough, das auch Millionen Views bekommen hat. Dabei habe ich verstanden, dass man auch lange Argumentationen mit vielen Quellen spannend rüberbringen kann. Dann habe ich mehrere Videos über Artikel 13 des neuen EU-Urheberrechts gedreht: teilweise rechtliche Analysen, teilweise habe ich die Propagandatechniken entlarvt, mit denen CDU, GEMA und FAZ auf die Argumente der Kritiker dieser Richtlinie reagiert haben.
Und darüber warst Du dann so sauer, dass Du mit dem CDU-Rant nachgelegt hast?
„Die Zerstörung der CDU“ ist kein Rant, sondern ein Meinungsbeitrag. Ein Rant ist ja in erster Linie emotional, mein Video aber verweist auf über 200 Quellen und argumentiert fast ausschließlich mit Fakten. Und damit habe ich offenbar vielen Menschen aus der Seele gesprochen: Die riesige Reichweite ist ja in erster Linie durch das manuelle Teilen des Videos entstanden – also auf eine sehr demokratische Art.
Ist Polemik das richtige Mittel für politische Diskussionen?
Nein. Ein bisschen Polemik darf sein, aber ich habe mich bewusst für einen faktischen, wenn auch deutlich aufwändigeren Ansatz entschieden – mit Argumenten auf Basis hunderter Quellen und mit Referenzen auf den wissenschaftlichen Konsens. Dahinter steckt der intrinsische Drang nach Aufklärung und dem Auslösen eines öffentlichen Diskurses zu Themen, die rational betrachtet sehr wichtig sind.
Du produzierst Videos für gleich zwei Kanäle auf Youtube. Wie finanzierst Du das?
Naja, durch die beiden Kanäle – ich verstehe die Frage irgendwie nicht! (lacht). Also soll ich erklären, wie man mit Youtube Geld verdient?
Ja, bitte – jedenfalls, wie das bei Dir läuft.
In erster Linie mit Werbung, wie so ziemlich bei jedem freien Content im Netz. Wenn man sich bei Youtube durch die Videos klickt, erscheinen Anzeigen. Teilweise werden auch vor und in meinen Unterhaltungs-Videos Anzeigen oder Spots eingeblendet. Welche Firma da wirbt, kann ich normalerweise nicht beeinflussen. Ich kann aber bei vereinzelten Videos die Werbung ganz ausschalten. Und das mache ich auch manchmal, zum Beispiel, wenn es um Politik geht.
Warum das? Gerade die werden ja am meisten angeklickt – was Dir am meisten Geld bringen würde…
Ich möchte einfach ganz klar haben, dass ich damit in keiner Form Geld machen will. Sondern ich mache das neben meinem Job, stecke viel Geld und Hunderte Stunden meiner Lebenszeit rein. Einfach aus Pflichtgefühl, weil ich ein guter Bürger sein möchte. Aber natürlich muss ich auch von meinem Job leben können. Das heißt, bei den Unterhaltungssachen, da schalte ich Werbung.
Wie gut kannst Du davon leben?
Im Vergleich zu vielen anderen Youtubern schalte ich sehr, sehr wenig Werbung. Ich mache auch kein Affiliate Marketing. Nicht aus einem rationalen Grund, sondern einfach, weil ich es nicht fühle. Ich könnte deutlich mehr Geld verdienen, wenn ich rationaler, mehr BWL-mäßig denken würde. Ich will aber die Videos nicht voll haben mit solchen Werbelinks. Das fühlt sich für mich nicht schön an, und deswegen mache ich es nicht. Punkt.
Ein ganz schöner Luxus…
Ich bin halt in erster Linie Künstler, und wenn das Werk irgendwie drunter leidet und ich hab den Eindruck, die Sache wird nicht mehr so geil, dann hab ich keine Lust drauf. Aber es kommt natürlich drauf an, was man unter Luxus versteht. Also, ich kann schon ordentlich von meiner Arbeit leben, wüsste aber nicht, was ich mir an Luxus leisten sollte. Ich laufe in einer Jogginghose und einem alten Band-T-Shirt durch die Wohnung. Ich hab keine Uhr, keinen Sportwagen – ich hab nicht mal eine eigene Kaffeemaschine.
Du bist in einer Pfarrersfamilie aufgewachsen. Was ist davon hängen geblieben?
Auch wenn ich mich selbst nicht als Christ bezeichnen würde, habe ich die christlichen Werte ziemlich verinnerlicht. Jesus hat den Schwachen geholfen, falschen Autoritäten widersprochen und die eigenen Werte und Überzeugungen durchgezogen, auch wenn es ihm großen Schaden zugefügt hat. Das finde ich gut.
In Deinen Videos redest und rappst Du rasend schnell. Kaum vorstellbar, dass ausgerechnet Du ein Problem mit Stottern haben könntest. Was ist da dran?
Na ja, es stimmt: Ich hab manchmal ein Problem mit Stottern. Das ist kein Geheimnis, da es natürlich auch den Zuschauern aufgefallen ist. Wenn ich Videos drehe, schneide ich es zwar heraus – nicht, weil ich mich schäme, sondern weil es dann besser fließt. Aber in ungeschnittenen Formaten wie Livestreams oder gefilmten Live-Diskussionsrunden mit Politikern merkt man das schon.
Hat Dich das anfangs Überwindung gekostet, das zu zeigen? Viele Leute verbergen ja lieber ihre Schwächen.
Ich hab eigentlich gar keine Schwierigkeiten, dazu zu stehen. Nur ist das Stottern bei mir punktuell: Es tritt umso mehr auf, wenn es um ein Streitthema geht oder etwas, das mir am Herzen liegt. Dann kann ich nicht einfach auf andere Wörter ausweichen, wie bei einem Smalltalk. Deshalb finde ich es sogar besser, wenn mein Gegenüber es weiß. Wenn dann ein Stotterer kommt, weiß er wenigstens, woran es liegt. Und was ich beim Sprechen für einen Struggle habe: Zehn bis zwanzig Prozent meines Gehirns sind in Diskussionen allein damit beschäftigt, mein Stottern zu vermeiden.
Bekannt geworden bist Du mit Deinem Rap über die übertriebene Selbstdarstellung eines anderen Youtubers. Gehört die Profilierung heute nicht zum Geschäft? Du selber hast Deine blaue Tolle als visuelle „Signature“.
Ja, ich hatte damals einen konkreten Fall von Überheblichkeit, Oberflächlichkeit und Arroganz eines Youtubers in einem Rap kritisiert. Ich finde nicht, dass diese Form der Profilierung zum Geschäft gehört. Schließlich verzichten viele Künstler auch darauf, sich als „die Besten“ zu bezeichnen oder mit Autos, Schuhen oder ähnlichem zu protzen. Wie wir von dieser Art der übertriebenen Selbstdarstellung jetzt den Sprung zu meiner Frisur schaffen, weiß ich nicht.
Aufmerksamkeit, Wiedererkennbarkeit, Einzigartigkeit – vielleicht sind die Motive ähnlich? Oder magst Du einfach nur blau?
Klar gibt es eine Wiedererkennbarkeit – das ist genauso wie ein Logo. Das macht ja auch Sinn. Da geht es aber weniger um Selbstdarstellung als um eine pragmatische Herangehensweise, damit ich schnell etwas wiedererkenne. Das ist dann ja gut für den Zuschauer. In zweiter Linie ist es natürlich auch gut für mich, wenn meine Zuschauer mich wiedererkennen.
In einem Interview hast Du mal gesagt, dass Dich mit 40 niemand mehr auf Youtube sehen will. Warum glaubst Du das?
Ach, das hab ich spontan so ausgedrückt, weil das Internet ein Medium ist, das sich sehr schnell weiterentwickelt, und meine Zuschauer vor allem junge Erwachsene sind. Aber natürlich kann es auch anders kommen und ich häng mit 60 noch auf Youtube ab. Ich bin offen für alles!
Du hast in Dortmund Informatik studiert. Auf dem Arbeitsmarkt sind solche Leute heiß begehrt. Kannst Du Dir einen „normalen“ Job vorstellen?
Ja, total! Ich mag Informatik und logisches Denken sehr. Ich arbeite auch teils als Informatiker bei ein paar eigenen Start-Ups. Aber eine eigene Idee als Unternehmer umzusetzen, ist auch kein wirklich „normaler“ 9-to-5-Job. ist. Ich rede mir ein, dass ich irgendwann den Workload runterschraube und nur noch 40 Stunden pro Woche in irgendeinem „normalen“ Job mache. Irgendwann.
Du bist jetzt 27, vegan geworden bist Du mit 16 oder 17. Wie bist Du dazu gekommen?
Ich war damals viel in der Punk- und Metal-Szene unterwegs. Es gab große deutsche Bands wie z.B. Maroon oder Heaven Shall Burn, die die Themen Tierrechte und Veganismus sehr deutlich in ihren Texten angesprochen haben. Damals gab es echt noch nicht so viele Veganer, und das Thema war den meisten Menschen völlig unbekannt. Daher musste ich erstmal ein paar Bücher dazu lesen. Und unmittelbar danach habe ich mich entschieden, vegan zu leben. Es schien mir plausibel und der einzige Weg, mir ein logisch konsistentes ethisches Weltbild aufzubauen.
Was waren denn Deine wichtigsten Erkenntnisse?
Egal, wie ich es drehe und wende, ich komme immer zu dem Punkt, dass Tierleid nichts Gutes ist. Die Rechtfertigungen mancher Leute für den Umgang mit nicht-menschlichen Tieren halte ich nicht für logisch konsistent. Wenn ich zum Beispiel sage, ich darf Schweine für Schinken töten, ist das keine ordentlich gewählte Maxime. Denn das sind nur allgemeine Regeln. Also nicht: „Ich darf sonntags den Max anlügen“, sondern: „Ich darf lügen“. Wenn ich das jetzt auf Tiere übertrage, darf ich nicht einfach sagen: „Schweine darf ich töten“, sondern muss das Ganze möglichst allgemein fassen. Zum Beispiel: „Man darf Tiere töten, die kein Bewusstsein für sich selbst haben“. Und dann merkt man schnell, dass solche Regeln auch für manche Menschen gelten würden. Insofern muss ich diese Regel, sofern ich einen Anspruch auf Konsistenz habe, entweder auch auf diese Menschen beziehen, oder sie verwerfen. Ich entscheide mich für letzteres.
Da sind wir dann bei Peter Singer, dem Vordenker der Tierrechtsbewegung…
Genau. Ich behaupte, es gibt kein konsistentes ethisches Wertkonstrukt, das darauf schließen ließe, dass man so mit Tieren umgehen darf, wie wir es tun. Und bei so wichtigen Fragen, wo es um richtig oder falsch geht, auch bei der Politik, da ist mir das Logische und Rationale sehr wichtig.
Du lebst „straight edge“ – also auch Tabak, Alkohol und häufiger Partnerwechsel sind tabu. Warum das?
Na ja, so habe ich das früher genannt, in meinen späten Teenager-Jahren. Da habe ich in einer veganen straight edge-Band gespielt und bei jeder Show das dicke „X“ auf meinen Handrücken gemalt. Ich hatte davor genügend Abstürze und besoffene Nächte erlebt, um für mich zu entscheiden, dass ich so einen Rausch nicht brauche, um Spaß zu haben. Rauchen und Kiffen war damals ohnehin nicht mein Ding, und Härteres hab ich nie ausprobiert.
Bleibt noch der Sex…
Der Verzicht auf häufige Partnerwechsel gehörte für mich nie dazu. Auch Tee und Kaffee habe ich nicht für mein Leben ausgeschlossen. Irgendwann habe ich meine Einstellung dann auch nicht mehr als „straight edge“ bezeichnet, sondern gesagt, dass ich keine Drogen nehme.
In Deinem letzten politischen Video geht es vor allem um die Klimakrise. Unsere Ernährung hat darauf ja einen großen Einfluss. Warum thematisierst Du das nicht?
Mache ich doch. Gerade heute habe ich einen kurzen Clip für das Musikvideo eines befreundeten Künstlers aufgenommen. Er hatte mich gebeten, ohne Worte zu zeigen, was man Gutes gegen die Klimakatastrophe tun kann. Ich habe ihm ein Video geschickt, in dem ich Tofu auf dem Kühlschrank hole und dabei auf den „VEGAN“-Aufdruck zoome. Es ist sehr wichtig, diesen Zusammenhang herzustellen.
Und warum hast Du diesen Zusammenhang in Deinem CDU-Video nicht angesprochen?
Weil das Video schon extrem voll war und seine Aussagen, Daten und Fakten die Zuschauer ohnehin eher überfordert haben. Dabei hatte ich nach dem Dreh schon eine ganze Reihe von Aspekten rausgekürzt, weil es einfach im Flow des Videos nicht geklappt hat. Sich eine Message vorzunehmen, ist halt sehr easy. Diese Message dann aber in einem hochkomplexen Werk so spannend unterzubekommen, dass die Zuschauer selbst bei einer knappen Stunde nicht abschalten, ist signifikant schwieriger.
Der vegane Youtuber Unge hat für seine ernährungskritischen Videos einige Shitstorms kassiert. Inwieweit kann man für den Veganismus eintreten, ohne Follower zu verprellen – oder Werbepartner?
Werbepartner sind an der Stelle nicht das Problem. Aber mit Hunderttausenden auf eine konstruktive, kritische und aufgrund des Themas automatisch konfrontative Art zu kommunizieren, ist einfach keine triviale Aufgabe. Insofern muss man umso mehr ein Gefühl dafür entwickeln, wie und wo man das Thema anspricht. In Livestreams habe ich sehr gute Erfahrungen damit gemacht, weil man in einer intimeren und ruhigeren Situation ist und auch direkt auf Fragen oder Argumente im Chat eingehen. Ein Video kann dagegen schnell wie eine trockene und vorwurfsvolle Unterrichtsstunde wirken, deshalb spreche ich das Thema darin seltener an.
Wie reagieren Deine Follower denn auf das Thema?
Ich glaube, dass mein Mix ganz gut klappt. Ich bekomme regelmäßig Nachrichten, in denen Zuschauer sagen, dass sie wegen mir vegetarisch oder sogar vegan geworden sind. Das macht mich sehr froh. Aber ich kann keine pauschalen Tipps geben, wie man dieses Thema kommunizieren sollte. Es kommt immer auf den individuellen Mix an aus Sender, Empfänger, Umgebung und Kommunikationsart.
Würdest Du Deiner Community auch mit dem Thema Tierrechte kommen?
Ja, definitiv – wenn es auf eine Art umgesetzt werden kann, die viele überzeugt. Und die meine Zuschauer nicht abschreckt, weil es eine Defensivhaltung auslöst. Auf Twitter, in Instagram-Stories, Streams und Videos für externe Channels habe ich das schon so rübergebracht. Ich hatte auch schon mal die Idee für einen ironischen Rap: „Wir sind die Sellerie-Mafia-Gang“. Aber das klappte dann in der Umsetzung nicht. So ist das in der Kunst: Manchmal will man eine Message, aber man kann sie nicht so rüberbringen, dass Leute, die sie eigentlich nicht hören wollen, das positiv auffassen. Unterschwellig baue ich das aber auch immer wieder in meine Unterhaltungsvideos ein. Zum Beispiel: „Wir testen 1000 Kilogramm veganes Eis“, „Der größte Burger“ (der dann natürlich vegan ist), oder in der Smoothie-Challenge.
Wie sieht Dein veganer Lifestyle praktisch aus – kochst Du selber? Was isst Du am liebsten?
Ich hab einen katastrophalen Essrhythmus. Wenn ich esse, werde ich unproduktiver. Darum esse ich meistens tagsüber kaum bis gar nichts, und hau dann abends voll rein. Ich koche auch sehr selten, weil es Zeit kostet – und in der arbeite ich lieber. Fertige Gemüsepfannen aus der Tiefkühltruhe, Tofu oder Kartoffeln kommen bei mir oft vor, weil man dafür keine Skills braucht. Meistens esse ich auch jeden Abend noch einen Soja-Joghurt und schnibbel mir da Obst rein. Hin und wieder bestelle ich auch gern vegane Sushi oder Pizza mit veganem Käse.
Und was vermisst Du am meisten?
Früher war das definitiv Käse. Klar, da könnte es noch Fortschritte geben, aber wenn man die heutige Käse-Situation mit der vor zehn Jahren vergleicht, ist es ein Traum. Ich will also gar nicht meckern!
Wie hältst Du es mit Kleidung – kaufst Du auch Sachen mit Wolle, Seide oder Leder?
Nein. Auch Sachen wie mein Portemonnaie oder mein Kopfkissen haben keine tierischen Anteile.
Du lebst in Aachen. Wie gehen Deine Freunde mit Deiner Ernährung um?
Es ist sehr unspektakulär, das juckt heute ja keinen mehr. Zum einen, weil sich die Zeit geändert hat, und zum anderen, weil sich mein Umfeld geändert hat. Heute bin ich mehr in der Künstlerszene drin, Schule und Uni waren ja ein eher durchschnittliches Umfeld. Aber als ich damit anfing, war es tatsächlich noch so, dass die meisten Leute nicht wussten, was das Wort „vegan“ bedeutet. Da war das grundsätzliche Bewusstsein für das Thema überhaupt noch nicht da.
Was müsste passieren, damit Du in ein Steak beißt?
Die Zellen müssten künstlich hergestellt worden sein, ohne dass es je ein zugehöriges Lebewesen mit zentralem Nervensystem gab. Dann würde ich reinbeißen, glaub ich.
Der Beitrag erschien zunächst im Veganmagazin.