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Empfänglich für Liebe

In seinen Shows bringt er Zehntausende zum Tanzen, im Garten zu Hause beobachtet er still die Bienen: Ein Interview mit dem Star-DJ und Musikproduzenten Felix Jaehn (24).

 

Lila Jogginghose, schwarzer Hoodie, weißblitzendes Lächeln: Zur Begrüßung nimmt Felix Jaehn mich einfach in den Arm. Ob er noch kurz ein Foto auf Instagram posten dürfe? Drauf ist Felix Jaehn – die neue Wachsfigur bei Madame Taussauds in Berlin. Klick, wisch, fertig. Das Interview kann beginnen.

 

Du legst in der ganzen Welt auf, Deine Songs sind ständig in den Charts. Über 90 Goldene und Platin-Schallplatten, zuletzt Doppelplatin in Brasilien für „All The Lies“.  Kannst Du eigentlich noch normal irgendwo hingehen, oder wirst Du überall erkannt?

Das geht zum Glück noch, ich habe ja meine Frisur ein paar Mal gewechselt. (Lacht.) Und ich dränge mich nicht in die Presse. Wenn ich Interviews gebe, dann soll auch ein Sinn und eine Aussage dahinterstehen.

 

Gerade ist Deine neue Single erschienen: „Love On Myself“, erstmals mit eigenen Texten. Was ist Deine Botschaft?

Dass ich mich selbst lieben muss, bevor ich andere lieben kann. Viele suchen nach Anerkennung und Bestätigung von außen, im Internet oder wo auch immer. Aber es ist wichtig, dass wir den Blick nach innen wenden, um uns selbst besser kennenzulernen – und uns selbst akzeptieren. Wenn man weiß, wofür man brennt, ist man innerlich im Frieden. Und geht mit dieser Ruhe und Liebe in die Welt. Seit ich da weitergekommen bin, existieren Dinge wie Konkurrenzdenken, Neid oder Hass in meiner Welt nicht mehr. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man einen anderen Menschen nicht mögen kann.

 

Musik und Party den ganzen Tag, fröhlich tanzende Menschen, und Du wirkst auch immer gut drauf… Ist das DJ-Leben wirklich so ein Traum wie in Deinen Videos?

Träumen zu können, heißt ja auch, dass ich überhaupt in der Lage bin, in die Emotion zu gehen. Aber damit bin ich natürlich auch angreifbar und sensibel für schlechtere Zeiten. Ich reise sehr viel, bin oft von zu Hause weg, sehe dann meine Freunde und Familie nicht, und setze mich einem unglaublichen Arbeitspensum aus. Dazu kommen die Kontraste, mal 30.000 Menschen auf der Bühne, mal alleine im Hotelzimmer. Häufig läuft alles mit einer solchen Geschwindigkeit ab, dass ich das gar nicht verarbeiten kann.

 

Wie kommst Du damit klar?

Ich muss mir dann ein bisschen Zeit für mich nehmen. Ich wohne in einem kleinen Dorf an der Ostsee, wo ich aufgewachsen bin. Da sitze ich dann einfach nur im Garten, beobachte die Tiere und die Natur und erfreue mich am Ursprünglichen. So komme ich zur Ruhe.

 

Vor einigen Jahren hattest Du gesundheitliche Probleme. Was war da los?

Alles! (Lacht.) Schon als Jugendlicher hatte ich häufig Kopfschmerzen. Dann ging es auch mit dem Knie und dem Rücken los. Es war für mich fast schon normal, Schmerzen zu haben. Ich habe dann alles ausprobiert: Physiotherapie, Osteopathie, Homöopathie, Orthopädie. Am Ende war es wohl eine Mischung aus allem, die geholfen hat. Und auch viel Kopf: Ich habe gemerkt, dass es bei mir Schmerzen auslöst, wenn ich nervös bin, Angst habe oder mich verstelle. Dass dann mein Körper verkrampft und mir sagt: Hier stimmt was nicht. Und dass ich keine Tabletten brauche, wenn ich Kopfschmerzen habe, sondern bewusstes Atmen und Ruhe.

 

Du machst jetzt Yoga und Sport, meditierst jeden Tag. Wie bist Du dazu gekommen?

Nach einer orthopädischen Behandlung wegen eines Bandscheiben-Problems hat mir ein sehr guter Coach ein Übungsprogramm zusammengestellt, das ich auch in jedem Hotelzimmer machen kann. Das mache ich jetzt seit zweieinhalb Jahren fast täglich, seitdem geht es immer weiter bergauf.

 

Meditierst Du auch nach Anleitung?

Manchmal meditiere ich einfach für mich, auf ein Mantra. Ich nutze aber auch die App „Calm“, da gibt es Anleitungen mit Gong, Gute-Nacht-Geschichten oder auch Naturgeräusche. Ich mag sehr gerne den „Deep Sleep Body Scan“: Über das Reinfühlen in meinen Körper kann ich den Tag und die Gedanken hinter mir lassen – und schlafe dann ganz gemütlich ein.

 

Letztes Jahr hast Du Dich als bisexuell geoutet. Wie schwer ist Dir das gefallen?

Das hat mich schon Überwindung gekostet. Ich bin ja ziemlich jung erfolgreich geworden, stand schon mit 19 im Fokus – erwachsen wurde ich auf Welttournee. Ich musste in Interviews ständig auf der Hut sein und hatte immer Angst… Irgendwann habe ich mich gefragt: Warum tue ich mir das an? Das ist totaler Quatsch – raus damit! Und seitdem geht’s mir besser.

 

Wie haben Deine Fans reagiert?

Sehr positiv! Viele schreiben mir, dass sie jetzt zum Beispiel endlich mit ihrer Mutter gesprochen haben, und wie gut es ihnen getan hat, das rauszulassen. Und dass ich ihnen die Kraft zu diesem Schritt gegeben habe. Das gibt mir und meinem Schaffen, meiner Kunst, auch mir als Mensch einen ganz großen Sinn im Leben.

 

Der Erfolg ist Dir also nicht so wichtig?

Ich bin super dankbar dafür, dass durch meinen unglaublichen Erfolg alle Bedürfnisse gedeckt sind. Ich hab ein Zuhause, Essen und muss mir keine Gedanken machen, ob ich nächsten Monat die Miete zahlen kann. Aber rein kommerzieller Erfolg und Geld sind für mich kein Antrieb mehr. Ich tausche in meinem Kopf gerade Gewinnmaximierung durch Glücksmaximierung aus. Dabei habe ich auch das große Bedürfnis zu helfen, empathisch zu sein und mich für die Gemeinschaft einzusetzen. Wenn ich anderen Gutes tue, fühle ich mich besser. Deswegen auch diese persönlichen Themen in der Musik: Ich möchte meine Ansichten teilen in der Hoffnung, dass sich andere darin wiederfinden.

 

In Hamburg hast Du letztes Jahr auf der Bühne eine Banane gegessen. Ein Statement für die vegane Ernährung?

(Lacht.) Das war vor allem ein super Energielieferant. Ich esse auf jeden Fall lieber eine Banane als Traubenzucker-Bonbons. Die Natur schenkt uns ganz viele tolle Sachen. Ich versuche, so ursprünglich wie möglich zu essen und industriell verarbeitete Produkte zu meiden.

 

Im Januar hast Du auf Twitter verkündet, dass Du angefangen hast, Dich vegetarisch zu ernähren, und vielleicht vegan wirst. Wie ist der Stand heute?

Ich bin noch nicht komplett vegan, aber ich reduziere auch weitestgehend Milch und Ei, alle Tierprodukte. Aber nicht zu hundert Prozent, sondern so, wie’s gerade geht. Wenn ich auf Reisen bin, an Flughäfen und Rasthöfen, ist es manchmal wirklich schwer, an reichhaltiges veganes Essen zu kommen. Im Ausland ist es teilweise noch schwieriger als in Deutschland. Da mache ich dann auch mal eine Ausnahme und esse Käse oder Ei. Aber ich bin auf jeden Fall überzeugt davon, dass Vegetarisch und im nächsten Schritt Vegan die Antwort auf viele Probleme ist.

 

Aber Fleisch und Fisch rührst Du nicht mehr an?

Ich habe nur einmal Fisch gegessen, letztens bei einer Familienfeier. Es gab einen Tisch für die Jugend, ich saß da mit meinen Brüdern und Freunden. Bis auf einen hatten alle ein vegetarisches Menü bestellt. Und da wurden wir von den Älteren etwas belächelt: „die Jugend isst kein Fleisch mehr“. Ich gab zurück: „Ja, ist doch gut so, wir entwickeln uns weiter und finden unsere eigenen Antworten.“ Und dann hat uns die Küche aber absurderweise statt Fleisch einfach Fisch serviert.

 

Und Du hast den gegessen?

Naja, wir haben erstmal gefragt, wie’s denn mit vegetarisch aussieht. Die haben gesagt: Kein Problem, wir bringen das weg und machen euch was Neues. Den Fisch hätten sie weggeschmissen. Da habe ich Nein gesagt: „Es geht nicht darum, dass wir alle keinen Fisch mögen, sondern dass wir Fisch nicht unbedingt brauchen. Dass wir die Ressourcen schützen wollen und uns die Industrie dahinter nicht gefällt.“ Und dann haben wir alle den Fisch gegessen. Ich finde, es gibt nichts Schlimmeres, als sich ein Käsebrot zu kaufen und dann den Käse wegzuschmeißen. Das ist meiner Meinung nach vollkommen am Sinn vorbei.

 

Hat Dich das nicht Überwindung gekostet, in den Fisch reinzubeißen?

Doch schon. Es war auch plötzlich sehr ruhig am Tisch – eine andächtige Stille. Ich glaube, dass jeder ein Bewusstsein dafür entwickeln muss, was wir da eigentlich essen. Und als ich den Fisch gegessen habe, war es für mich eine Wertschätzung für das Tier. Es hat lecker geschmeckt, aber ein Brokkoli hätte es auch getan.

 

Merkst Du körperlich einen Unterschied, seit Du Dich überwiegend vegan ernährst?

Ich fühle mich nach dem Essen nicht mehr so schwer, der Verdauungsprozess ist viel leichter. Ich schlafe auch ruhiger und habe mehr Energie. Ein bisschen abgenommen habe ich. Aber das liegt auch daran, dass ich mich bewusster ernähre.

 

Kochst Du selber?

Zu Hause kriege ich das easy hin. Zum Frühstück zum Beispiel mache ich mir jetzt einfach immer Haferflocken mit Wasser. Da kommt Obst mit rein, eine Birne oder Banane, ein bisschen Zimt. Dann habe ich eine Sammlung von Nüssen und Samen, davon nehme ich jeden Tag etwas anderes dazu, weil ja alles ein bisschen andere Inhaltsstoffe hat. Ich versuche, vielseitig zu essen, um auch alles abzudecken. Da brauche ich kein Baguette und Croissant mehr. Mittags und abends habe ich den Fokus auf Gemüse, ich koche mir zum Beispiel sehr gerne eine Gemüsepfanne mit Linsen.

 

Hast Du Dir das Kochen selber beigebracht?

Ich glaube, ich hab das so ein bisschen im Blut. Ich gehe oft nicht nach Rezept vor, sondern kaufe ein, was mir gerade so gefällt. Und wenn ich dann essen will, mache ich einfach den Kühlschrank auf und würfle zusammen, worauf ich gerade Bock hab. Und irgendwie schmeckt’s dann immer.

 

Die meiste Zeit bist Du ja im Hotel. Wie machst Du es da?

Auf Tour entdecke ich jetzt immer mehr Spots, wo wir dann vegan essen gehen. Und zum Glück gibt es auch in Hotels immer mehr Optionen. Ich war gerade in Stockholm fürs Lollapalooza-Festival, da gab’s zum Frühstück Hafermilch, Sojamilch und sogar veganen Kuchen. Auch in deutschen Supermärkten findet man überall eine Vegan-Ecke. Wobei ich diesen Sojafleisch-Ersatz nicht so optimal finde, weil er industriell verarbeitet ist. Es ist doch noch viel schöner, wenn man versteht, dass man das gar nicht braucht. Der Blumenkohl kann der Star des Abends sein – als Hauptgang, keine Beilage.

 

Wie reagieren die Leute in Deinem Umfeld?

Fast alle meine guten Freunde sind mittlerweile auf jeden Fall vegetarisch. Das ist gerade eine richtige Welle. Bei mir kam der Schritt ja auch aus verschiedenen Gründen: Einmal haben immer mehr Leute über vegan gesprochen, auch viele Künstler. Dann habe ich mir Dokus wie „Cowspiracy“ und „What the Health“ angeschaut. Und bei mir kam noch ganz krass dazu, dass ich auf dem Land wohne und die Natur liebe. Ich sitze da manchmal wirklich eine Stunde auf dem Boden und gucke, wie eine Biene in der Erde erwacht, erfreue mich an Hasen und Vögeln. Ich möchte einfach kein Grund dafür sein, dass das in Zukunft nicht mehr existiert. Unter meinem Leben soll am Ende eine positive Öko-Bilanz stehen, und dass ich eher geholfen habe, die Natur zu erhalten, als ihr zu schaden.

 

Das passt mit dem Konsum von Tierprodukten natürlich nicht zusammen.

Genau. Da geht es erstens um das Wohlergehen der Tiere. Die Tierhaltung ist einfach nicht akzeptabel: diese Art und Weise, wie wir Tiere züchten – wie ein Produkt. Dann die Folgen für die Umwelt und die Gerechtigkeit in der Welt; die Ressourcen, die da reingesteckt werden. Der Platz, der benutzt wird, die Wälder, die abgeholzt werden, und so weiter. Und der dritte Punkt, der tatsächlich viele Menschen überzeugt, denen es zu abstrakt ist, sich um Pflanzen und Tiere zu sorgen, sind sie selbst. Dieser übermäßige Fleischkonsum ist einfach nicht gesund – und dann noch in schlechter Qualität, voll mit Antibiotika. Wir vergiften uns quasi selbst, und es gibt wirklich keinen Grund dafür.

 

 

Zum veganen Lifestyle gehört ja nicht nur das Essen. Machst Du Dir auch Gedanken, was in Deiner Kosmetik und Kleidung steckt?

Ja, wenn der Prozess einmal angefangen hat, kommt eins zum anderen. Aber das ist ja gerade das Schöne, dass man seine Überzeugung überall einbringen muss. Was ich ja jetzt auch mit meiner Musik mache. Bei mir ist zum Beispiel der CO2-Ausstoß von Flügen ein großes Thema, weil ich so viel reise – für meine Fans überall auf der Welt. Deswegen pflanze ich Bäume und fliege nicht privat in den Urlaub. Lieber erfreue ich mich in Deutschland am blauen Himmel. Wenn’s regnet, freue ich mich über den Regen, und wenn’s stürmt, ziehe ich mir eine Jacke an.

 

Stichwort Klamotten. Wie hältst du es damit?

Ich kaufe wenig bis gar keine mehr. Meine Schuhe hier zum Beispiel sind Fair Trade-Stoffschuhe, die ich selbst angemalt habe – keine teuren Designerstücke. Aber ich sehe das wirklich nicht so Schwarz-Weiß, sondern es muss sich für mich richtig anfühlen und mit meinen Überzeugungen einhergehen. Ich habe neulich zum Beispiel in meinem Garten mit Kompostieren angefangen. Weil ich es einfach nicht übers Herz bringe, den Bioabfall in den Müll zu tun – alles ist ein Kreislauf aus Energie. Wenn wir die Frucht ernten und essen, können die Überreste auch in der Natur weiterleben.

 

Auf der Suche nach Mr. oder Miss Right – wie gehst Du da vor? 

(Lacht.) Mit meinem Song „Love On Myself“ habe ich mich ja quasi auf den Markt geschmissen. Ich trage die Regenbogen-Fahne auf dem T-Shirt, rede offen über meine Gefühle und habe eine klare Vision, was ich möchte. Das strahle ich auch in der Welt aus und bin empfänglich für Liebe. So kann es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit sein, bis es klappt!

 

Wie wichtig ist es Dir, dass der- oder diejenige Dein Faible für einen bewussten Lifestyle teilt?

Man kann über viele Dinge hinwegsehen und Kompromisse schließen, aber man braucht einen gemeinsamen Nenner. Ich glaube, ich könnte mit niemandem zusammenleben, der nicht achtsam mit sich selbst, der Umwelt, dem Planeten und den Mitmenschen umgeht. Das würde mir total widerstreben und einfach nicht passen.

 

Du gehst auch dann auf die Bühne, wenn es Dir mal nicht so gut geht – wie in Köln, am Ende Deiner Tour letztes Jahr. Wie achtsam bist Du Dir selbst gegenüber?

Erschöpfung, Stress, Nervosität – das ist bei mir oft so während einer Tour. Aber irgendwie schleppe ich mich dann weiter. Ich bin schon sehr streng und hart mit mir. Ein tüchtiger Arbeiter, aufgewachsen in einer deutschen BWL-er-Familie – daher das Unternehmerische und das Verlangen nach Erfolg. Auf der anderen Seite bin ich ein total sensibler, emotionaler Mensch – ein Künstler, liebesbedürftig und naturverbunden. Wenn die beiden in mir gegeneinander arbeiten, ist es schwierig. Jetzt bin ich dabei, dass diese beiden Charakteranteile sich anfreunden und miteinander harmonieren. Es geht darum, alle meine Eigenschaften zu akzeptieren und zu lieben – auch die, die ich nicht mag.

 

Der Beitrag erschien zunächst im Veganmagazin.

katrin