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ART-gerechter Zirkus

Ein Zirkus ohne Tiere? Geht doch: Bei Roncalli treten Elefanten und Pferde nur noch als Lichtgestalten und Puppets auf.

 

Schneeweiße Pferde galoppieren durch die Manege, ein Elefant stellt sich auf die Hinterbeine – doch Sekunden später lösen sie sich wieder in Luft auf: Die Tiere sind Holografien, erzeugt von elf Laserbeamern, für die Roncalli rundum Löcher in die historische Zirkuskulisse sägen ließ. Die komplexen Bewegungsabläufe steuern bis zu 3000 Prozessoren per Computercloud, zwei Jahre hat die Entwicklung gedauert. Nur das Sägemehl in der Manege ist echt – für den typischen Geruch. „Wir sind jetzt tierfrei“, erklärt die Stimme von Direktor Bernhard Paul aus dem Off. Das Publikum applaudiert.

 

„Das ist erst der Anfang“, erzählt Paul, der den Zirkus Roncalli 1976 gegründet hat, in der Pause. „In unserer nächsten Show wird die Technik noch viel mehr zum Einsatz kommen.“ Denn die Zeiten haben sich geändert: Vor 40 Jahren hätten die Leute noch Tiere verlangt. Heute mehren sich die Proteste von Tierschützern, viele Länder in Europa haben Raubtiere in Zirkussen verboten. In Deutschland wollen immerhin einige Kommunen keine Flächen mehr an Zirkusse mit Raubtieren vermieten.

 

Langsamer Entzug

Roncalli hat seine Besucher nach und nach auf Entzug gesetzt: Schon 1992 wurden die Raubtiere abgeschafft. Dann wurden die Pferdenummern immer weniger, bis nur noch ein paar Ponys übrig waren. Und damit ist jetzt auch Schluss: Im neuen Programm „Storyteller“ werden die Tiere durch spektakuläre Holografien und lebensgroße Puppets ersetzt – Drahtkonstruktionen mit ausgeklügelter Mechanik und menschlichem Innenleben. „Endlich können wir mit unseren Kindern in den Zirkus gehen!“ Diesen Satz hat Bernhard Paul auf dieser Tournee schon oft gehört, auch heute – aus meinem Mund. „Das Bewusstsein hat sich geändert, und das ist gut so“, findet der dreifache Vater.

 

Veganes Eis und LED-Lampen

Wir sitzen im liebevoll restaurierten Zirkuswagen des „Café des Artistes“, auf der Karte steht veganes Eis. Roncalli geht auch bei der Verpflegung neue Wege: Frisch gemixte Smoothies vom historischen Foodtruck, vegane Schokoriegel und Bio-Schorlen im Vorzelt – nur vegane Bratwürste gibt’s leider nicht. Immerhin kommt das Popcorn nicht mehr in Plastik-, sondern in Papiertüten, die Strohhalme sind kompostierbar. Die über 10.000 Glühlämpchen, die die Zeltlandschaft illuminieren, sind LEDs, auch die Klimaanlage im Zelt arbeitet besonders energieeffizient. Und seine historischen Zirkuswagen lässt Roncalli per Bahn von Ort zu Ort transportieren, angetrieben von Ökostrom.

 

Ob es auch negative Reaktionen gab? Ja, erzählt Bernhard Paul. Von anderen Zirkussen. „Die sagen, ohne Tiere ist das kein Zirkus mehr.“ Aber es ist Zeit, das zu verändern: Das Pferd als Nutztier sei nicht mehr notwendig – genauso wenig wie der Bär im Flitterkostüm auf dem Motorrad. „Für den Zirkus werden die Tiere dressiert, das ist nicht artgerecht“, findet Paul. Dass das Publikum das auch so sieht, haben ihm Besucherbefragungen gezeigt. Und während andere Zirkusse ums Überleben kämpfen, steigen bei Roncalli die Besucherzahlen. 700.000 Menschen haben die tierfreie Tournee schon gesehen. Wegen der tierischen Hologramme und Puppets, aber sicher vor allem auch wegen der zauberhaften Kunst von Akrobaten und Clowns. Denn die war bei Roncalli schon immer die größte Attraktion.

 

 

Der Beitrag erschien zunächst im veganmagazin.

katrin