Lena Meyer-Landrut wurde mit „Satellite“ über Nacht zum Pop-Star, zehn Jahre lang folgte ein Album aufs nächste. Dann die große Krise – und jetzt das noch größere Comeback. Im Interview mit dem VEGANMAGAZIN spricht Lena über den Mut zur Verletzlichkeit, über Shitstorms und Hafermilch.
Rotes T-Shirt, Jeans, Goldrand-Brille, ungeschminkt: jünger als 27, aber ein bisschen müde sieht Lena Meyer-Landrut aus. Im Schneidersitz sinkt sie aufs Sofa im schicken Hamburger Boarding House und beißt in einen Apfel. Nach dem Interview steht gleich der Soundcheck für den Fernsehauftritt am Abend an. Das Pensum der Promo-Tour für ihr neues Album ist gewaltig, fast jeden Tag eine andere Stadt. Aber Lena klagt nicht, bittet ihre Assistentin nur um etwas Hafermilch für ihren Kaffee und wendet sich aufmerksam mir zu.
Du singst, modelst, arbeitest als Synchronsprecherin, sitzt in der Jury von „The Voice Kids“. Was machst Du am liebsten?
Singen auf jeden Fall. Dadurch stehen mir auch so viele Türen offen, ich darf so viel ausprobieren. Das ist ein großes Privileg – und ich bin dafür total dankbar!
Als Du vor zehn Jahren den Eurovision Song Contest gewonnen hast, wurdest Du über Nacht zum Star – mit 19. Seitdem hast Du fünf Alben veröffentlicht, das jüngste im April. Wie hältst du den Druck aus, immer wieder abliefern zu müssen?
Ich glaube, der Druck ist dann extrem, wenn man sich den Druck selber macht. Wir sind ja alle für uns selbst verantwortlich: Wir können Entscheidungen treffen, was wir machen und was nicht. Und man kann vielleicht nicht immer alles hundertprozentig machen.
Dein neues Album „Only Love, L.” propagiert Liebe und Respekt. Wie oft schaffst Du das wirklich – nur Liebe und kein Ärger?
Ich werde besser. Weil ich viel nachdenke und seit ein, zwei Jahren auch mehr zur Ruhe komme und den Fokus verändere – mehr auf das, was mir tief drinnen wichtig ist. In einem ständigen Prozess der Weiterentwicklung, auf der Suche nach mir selber und dem, was mich happy macht. Mit dem Grundsatz, die Sachen mit Weichheit und liebevoller Gelassenheit zu berühren. Das versuche ich auch in den Alltag zu bringen. Manchmal fällt‘s einem schwer, aber ich glaube, das sind dann gerade die Momente, an denen man auch wächst.
Dancefloor statt Drama – hat Dich die Musik auch persönlich befreit?
Auf jeden Fall. Ich hatte vor drei Jahren ein Album geschrieben und das dann mehr oder weniger in die Tonne getreten. Dann habe ich mich zurückgezogen, um nachzudenken. Und aus dieser Nachdenkzeit ist das neue Album gekommen: ein Befreiungsschlag. Eine Therapie. Zum ersten Mal habe ich mich getraut, über Sachen zu schreiben, die mir wirklich auf dem Herzen liegen – tiefgründiger oder autobiografisch. Mich offener und transparenter zu machen, hat mich von der Angst befreit, angreifbar zu sein. Ich bekomme jetzt so viel Ehrlichkeit und Offenheit zurück – das ist die schönste Belohnung.
Du hast Dich früher über Anfeindungen in Social Media beschwert, bist aber selber bei Instagram sehr aktiv. Muss man das als Popstar, oder warum machst Du das?
Es ist vor allen Dingen mein Kanal, um das auszudrücken, was ich im Moment denke und fühle. Und ich merke auch hier, dass ich ehrlich sein darf und nicht mehr so eine große Angst davor haben muss, Position zu beziehen. Denn je offener man ist, desto intensiver wird der Austausch. Als ich zum Beispiel vor zwei Jahren einen sehr persönlichen Song über meinen Vater veröffentlicht habe, schrieben mir unglaublich viele Leute – das hat mich sehr berührt.
Bei Deinem Rückzug Ende 2017 hast Du Album und Tour verschoben, Dich von Deinem langjährigen Freund getrennt und Dein Smartphone ausgeschaltet. Was war los?
Ich habe mich unwohl gefühlt, zerstreut und nicht so bei mir, war oft müde. Was viel mit meiner Situation und dem Druck zu tun hatte: Man macht ein Album, dann das nächste, dieses und jenes wird von einem erwartet. Da habe ich dann irgendwann gemerkt, dass ich das eigentlich gar nicht möchte, und gesagt: Ich mach jetzt hier mal einen Break.
Hat Dich das viel Mut gekostet?
Ja. Aber ich habe gemerkt, dass es sich auszahlt, wenn man offen und ehrlich ist und sich die Zeit nimmt, sich mit den Leuten zusammenzusetzen. Natürlich hätte ich es auch durchziehen können. Aber zu welchem Preis? Und wozu? Es hätte niemandem geholfen – weder mir noch den Plattenfirmen. Und was nicht echt ist, kann auch den Zuhörer nie zu hundert Prozent berühren.
Auf Deinem Weg zur Dir selbst – inwieweit gehört eine bewusste Ernährung dazu?
Das hängt ja auch immer davon ab, welche Informationen man hat, wie offen man dafür ist, wo die Prioritäten liegen und welche Kapazität man dafür hat. Ich hatte lange Zeit kaum Kapazität für Dinge, die ich für mich selber priorisieren wollte. Doch je mehr Zeit man sich für sich selber nimmt, desto mehr Prioritäten kann man setzen. Das bedeutet natürlich auch, Zeit und Kraft zu investieren. Also: Bewusstsein hatte ich schon immer, aber das Maß hat sich geändert.
Vegetarisch ernährst Du Dich schon lange. Versuchst Du, Deine Überzeugung weiterzugeben?
Ich bin ein großer Fan davon, nicht zu verurteilen oder Messias-mäßig zu verkünden, was gut ist und was nicht. Denn ich habe die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen und kann immer nur davon sprechen, was ich in dem Moment für richtig halte. In zwei Monaten kann ich anders informiert sein, vielleicht durch einen Menschen, den ich treffe, oder ein Buch, das ich lese. Dann verändere ich vielleicht mich oder meine Einstellung. Diese Weichheit zu behalten, finde ich wichtig – und trotzdem ein paar Grundsätzen zu verfolgen.
Wie reagieren andere darauf?
In meinem Team haben wir zum Beispiel einen Fotografen, der isst normalerweise zweimal am Tag Fleisch. Er meinte neulich, dass ich ihn mit meiner Art zu leben schon richtig gebrainwashed hätte. Jetzt isst er zumindest dann kein Fleisch, wenn er mit mir unterwegs ist. (Lena lacht.) Das ist doch ein Fortschritt! Wenn man wirklich alles bewusst machen wollte, müsste man als Selbstversorger leben, und das zu hundert Prozent durchziehen.
Wie vegan bist Du denn?
Ich würde sagen: zu achtzig Prozent. Tiere sind Freunde, kein Essen. Ich liebe sie und habe nicht das Bedürfnis, sie zu essen. Wie die Tiere in der Massentierhaltung gequält werden, das ist das Schlimmste. Kein Lebewesen verdient, dass man so mit ihm umgeht. Man kann natürlich auch noch zehn Schritte weitergehen und sagen: „Dann darf man auch keine Mandeln essen und keine Avocados, weil das für die Umwelt schlecht ist.“ Im Grunde genommen kann man es nicht richtig machen. Deswegen finde ich auch, dass man nur bis zu einem gewissen Grad streng sein darf.
In welchen Situationen lässt Du denn beim Essen Fünfe gerade sein?
Zum Beispiel, wenn wir unterwegs sind und es keine andere Möglichkeit gibt, um irgendwelche Nährstoffe reinzubekommen. Dann kommt es schon mal vor, dass ich ein Käsebrot esse. Oder wenn es auf der Karte nichts anderes gibt als ein Gericht mit Soße und Sahne drin. Aber meistens klappt’s mit vegan, normalerweise haben wir immer selber was dabei: Hafermilch, Nüsse, getrocknete Früchte, Obst, Babykarotten.
Wir haben davon gesprochen, dass Du Dich überfordert gefühlt hast. Ist vegan da nicht noch einer oben drauf?
Nein. Wahrscheinlich, weil ich ja immer noch diese zwanzig Prozent habe, wo ich einfach sage: ich muss jetzt eben was zu mir nehmen, und dann ist es gut. Es wäre sonst viel, viel anstrengender. Aber wer weiß, vielleicht habe ich in drei Wochen auch keinen Bock mehr auf diese zwanzig Prozent. So wie mit dem Sport: Neulich erzählte ich meiner Mutter, wie sehr es mich ankotzt, dass ich wochenlang keine Zeit für‘s Gym hatte. „Mach dir doch deswegen keinen zusätzlichen Stress“, riet sie mir, „Wenn du wieder Kapazität hast, gehst du halt wieder hin.“ Ich glaube, das ist wichtig, sich da selber nicht so zu malträtieren. Gerade, wenn man eigentlich die Grundeinstellung hat, alles richtig machen zu wollen.
Letztes Jahr hast Du einen Shitstorm geerntet, weil Du auf Instagram Werbung für L’Oréal gemacht hast – der Kosmetikkonzern führt Tierversuche durch und verkauft viele nicht-vegane Produkte. Aktuell kooperierst Du mit H&M. Für Dich kein Gewissenskonflikt?
Ich entwickle mich da auch weiter. Mit H&M habe ich viele Gespräche geführt über Nachhaltigkeit, Bio-Baumwolle, Produktionsstätten und wie was produziert wird. Das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass die Firma die Fast Fashionerfunden hat und man da natürlich nicht immer hundertprozentig dahinterstehen kann. Auf der anderen Seite bin ich ein Freund davon, mit großen Firmen zu kooperieren – da kann man in der Breite etwas bewirken und sich mit dem tatsächlichen Kern auseinandersetzen. Es ist immer eine Gratwanderung.
Wie wichtig ist Dir vegane Kleidung?
Das ist auf jeden Fall ein Thema. Schwierig ist es hauptsächlich bei Schuhen, aber ansonsten: ich brauche keine Lederjacken und auch keine Ledersitze im Auto. Auf Wolle und Seide zu verzichten, kriege ich noch nicht ganz umgesetzt. Aber ich finde es toll, wenn jemand Tipps hat, wie man es wenigstens im Kleinen besser macht.
Du bist sehr schlank. Wie hältst Du Dein Gewicht?
Ich finde es immer so witzig, dass die Leute denken, man sei dünn, weil man vegan isst. Das ist bei mir einfach die bewusste Ernährung: Was braucht der Körper? Was braucht er nicht? Aber für mich ist Essen auch Genuss, deswegen möchte ich zum Beispiel nicht auf Schokolade verzichten. Es kommt nur darauf an, ob man die Chemieschokolade der bekannten Marken in sich reinstopft, oder gute. Es gibt so tolle vegane Schokolade, mit Kokosblütensirup und anderen geilen Sachen!
Du bist ja jetzt erstmal wieder Single. Können sich vegane Männer besondere Hoffnungen machen?
(lacht) Ich glaube, generell würde ich bei meiner Partnerwahl nicht vorrangig darauf achten, was sie für Hobbys haben und wie sie sich ernähren. Da kommt es ja auf den Menschen an. Und so wie bei unserem Fotografen können Menschen, wenn man mit ihnen in Verbindung tritt, sich ja auch informieren und vielleicht ihre Meinungen ändern.
Du plädierst für Transparenz und Echtheit. Was hältst Du von Greta Thunberg und den „Fridays for Future“?
Es ist toll, dass diese junge Generation soviel Aufmerksamkeit auf wichtige Dinge zieht. Wenn Greta am Rednerpult anfängt zu weinen, finde ich das sehr bewundernswert. Sie macht sich emotional nackig und zeigt, wofür ihr Herz schlägt. Das ist ein schönes Beispiel für den Mut, mehr Weichheit zu zeigen – ein weibliches Attribut, das für Schwäche steht. Aber es ist wirklich an der Zeit zu verstehen, dass Weichheit eine absolute Stärke ist.
Der Beitrag erschien erstmals im Veganmagazin.