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„Wenn ich etwas will, hole ich es mir“

15 Millionen Fans auf Instagram, „U-30-Musiksensation“ auf der Forbes-Liste, ausverkaufte Konzerte – dabei ist Billie Eilish erst 17, ihr Debütalbum gerade erst erschienen. Im Interview spricht sie mit Katrin Kasper über Erfolgsdruck, Angst im Dunkeln und nervende Anti-Vegan-Sprüche.

 

Nein, sie gibt dem VEGAMAGAZIN kein Interview. Oder vielleicht doch, in London. Einen Tag vorher kommt die Absage. Dann in der Nacht das Angebot für ein Telefon-Interview. Und tatsächlich, pünktlich auf die Minute klingelt das Telefon; die schokoladige Stimme von Billie Eilish lässt den Hörer schmelzen und den Ärger verrauchen. Sie sitzt in einem Hotelzimmer, sagt sie, ihre Mutter neben ihr. Und die Pressefrau von der Plattenfirma hängt mit in der Leitung.

 

Du bist gerade erst 17 geworden, hattest bis vor kurzem kein Album draußen, aber um Dich herrscht jetzt schon ein Hype wie um einen Superstar. Wie erklärst Du Dir das?

Oh mein Gott, ich habe selbst keine Antwort. Es ist wirklich merkwürdig, was da los ist – es ist surreal und schockierend. Das kann man nicht erklären. Es ist auch keine Sache, auf die man sich vorbereiten kann. Und du kannst nicht wirklich wissen, was es mit dir macht. Ich versuche heraus zu finden, was gut für mich ist und was nicht. Aber es ist wirklich unglaublich, dass dies mein Leben ist! Ich bin so ganz anders aufgewachsen. Ich war Hardcore-Fan von so vielen Künstlern. Und jetzt bin ich auf der anderen Seite. Einfach unheimlich!

 

Wie kommst Du mit dem hohen Erwartungsdruck klar?

Es ist viel Druck, aber ich sag mir immer: eines Tages werde ich sterben. Der Druck, den ich jetzt habe, ist nicht wirklich wichtig.

 

In Deinen Videos bist Du leichenblass geschminkt, Du lächelst nie, einmal krabbeln Dir Spinnen aus dem Mund. Auch in Deinen Konzerten herrscht eine ziemlich dunkle Atmosphäre. Was machst Dir an der Gegenwart am meisten Angst?

Ich habe nicht vor realen Gefahren Angst, sondern vor Sachen, vor denen ich eigentlich keine Angst haben müsste. Wasser zum Beispiel macht mich verrückt, das Meer. Ich habe Angst vor der Dunkelheit: Allein im Dunkeln zu schlafen, und dann kommt etwas unter meinem Bett hervor, um mich zu schnappen.

 

Du lebst vegan. Wie ist es dazu gekommen?

Meine Mutter lebte schon lange vegan. Sie ist die gesündeste Person der Welt. Dann wurde mein Bruder vegan, vor allem wegen seiner Haut. Milchprodukte sind ja – wie alle anderen tierischen Produkte – nicht so gut. Dann wurde auch mein Vater vegan, um meinen Bruder zu unterstützen. Aber ich als oberschlaue Elfjährige meinte damals: „Ich könnte nie vegan werden, ich liiiiebe Milchprodukte“, und so weiter. Aber dann habe ich gemerkt, wie dumm das war. Ich vertrug auch keine Milchprodukte, hatte jeden Tag Bauchschmerzen. Und verdrängte es, weil ich nicht akzeptieren wollte, dass es an meinen geliebten Joghurts lag. Ich lebe jetzt seit vier oder fünf Jahren vegan.

 

Wie schwer ist Dir der Umstieg gefallen?

Ich bin vegetarisch aufgewachsen – habe noch nie im Leben Fleisch gegessen. Der Übergang von vegetarisch zu vegan ist sicher viel leichter als vom Fleischessen zu vegan. Für mich war das also ein kleinerer Schritt als für viele andere Leute, denke ich. Aber ich ernähre mich nicht nur vegan, sondern auch glutenfrei, ich esse jetzt praktisch gar nichts mehr! (Lacht)

 

Wie streng bist Du bei Deiner veganen Ernährung?

Ich bin da ziemlich konsequent. Wenn ich weiß, irgendwo ist was vom Tier drin, esse ich es nicht. Natürlich gibt es Situationen, dass ich zum Beispiel Chips esse und hinterher erfahre, dass da Milch drin war. Das nervt, aber es bringt mich nicht um – ich bekomme höchstens Bauchschmerzen. Aber es geht ja hauptsächlich um die Tiere. Ich war nie so drauf: „Du musst erst Deine Hände waschen, bevor du mein Essen anfasst.“ Wenn ich etwas essen will, auf dem Fleisch oder Käse ist, pflücke ich das einfach runter und esse das Übrige. Das bringt mich nicht um.

 

Wie gehst Du mit Leuten um, die nicht vegan sind?

Alle meine Freunde essen Fleisch, alle essen Käse – sie essen alles mögliche. Das war mir schon immer egal. Viele Leute wissen nicht mal, dass ich vegan bin. Denn das ist nichts, was ich von mir aus ansprechen und den Leuten reindrücken würde. Es ist etwas, woran ich glaube, und wo ich helfen will. Aber nichts, womit ich meine Freunde verärgern will.

 

Du interessierst Dich für Mode, entwirfst Deine eigenen Outfits. Trägst Du noch Leder? Wolle? Seide?

Nein, ich trage weder Leder noch Pelz, höchstens Fake Fur-Zeug. Obwohl – ich glaube, ich habe noch ein paar Lederschuhe, das ist leider nur schwer zu vermeiden. Aber bei allem anderen versuche ich wirklich, mich von Tierprodukten fern zu halten. Auch meine Kosmetik muss vegan sein. Wenn ich zu einem Shooting gehe, sage ich vorher den Visagisten Bescheid, dass sie keine anderen Produkte verwenden sollen.

 

Halten Dich die Leute dann nicht für eine Diva mit Allüren?

Überhaupt nicht. Ich mache da ja kein großes Thema draus. Für die Visagisten ist das kein Problem. Und wenn mich Freunde in irgendwelche Restaurants zerren, sage ich nie was. Ich esse einfach nichts oder höchstens ein paar Pommes. Ich will nicht, dass sich jemand für mich Umstände macht.

 

Wie ist Dein Verhältnis zu Tieren?

Ich war schon als Kind pferdebegeistert. Ich musste sie gar nicht reiten, allein in ihrer Nähe zu sein, hat mir gut getan. Auch heute beruhigt es mich, wenn ich in einen Stall gehe und die Pferde ansehe. Ich fühle mich dann mehr verbunden mit mir selbst, irgendwie ganz. Ich liebe Tiere und habe keine Angst vor ihnen, außer vor Walen. (Lacht.) Ich liebe Hunde, Katzen, Schlangen, Spinnen – ich liebe all die ungewollten Tiere, auch Ratten und Mäuse. Das sind alles kleine Kreaturen, Lebewesen mit eigener Persönlichkeit. Klingt verrückt, aber ich liebe eben Tiere.

 

Die meisten Leute verstehen es ja, wenn man Hunde nicht essen will. Aber Schweine sind für sie zum Essen da.

Ich kann total verstehen, dass Leute, die damit aufgewachsen sind, denken, es sei großartig, Fleisch zu essen. Es ist Teil ihres täglichen Lebens, sie wollen das natürlich weiter tun und es ist sehr schwer für sie, damit aufzuhören. Ich habe kein Problem damit, wenn jemand Fleisch isst. Bloß wenn Leute versuchen, mich zu bekämpfen und die Grausamkeit, mit der die Tiere behandelt werden, irgendwie verteidigen wollen – das respektiere ich überhaupt nicht. Aber du kannst so viel Fleisch vor mir essen wie du willst, es kümmert mich nicht. Ich habe einfach sehr viel Liebe für Tiere und lebe vegan. Aber ich würde das niemand anderem aufzwingen.

 

Man hört eine Stimme im Hintergrund – die Mutter ruft rein: „Ich hasse es, mit Leuten zusammen zu sein, die Fleisch essen! Es wäre besser für den Planeten, wenn sie damit aufhören würden!“

 

Aber ich würde nie jemanden dazu zwingen wollen. Ich glaube, woran ich glaube, und andere Leute können glauben, woran sie glauben.

 

Wie reagieren die Leute in deinem Umfeld? Ändern manche ihre Ernährungsgewohnheiten?

Manche Leute machen einfach weiter wie immer. Aber manche werden richtig zickig: „Ooooh, du bist vegan – du isst ja dies nicht und das und jenes nicht…“ Dann sage ich: „Okay, was hast du davon, wenn du dies oder jenes isst? Ich weiß, dass ich all das nicht brauche. Ich habe Milchprodukte geliebt – oh mein Gott, ich habe so viel davon gegessen, alle meine Lieblingsgerichte waren mit Milch! Genauso wie Brot, ich habe Massen gegessen. Okay, Brot bringt keine Tiere um. Aber auch das ist etwas, was ich nicht brauche. Wenn du wirklich an etwas glaubst, kannst du dich ändern. Dieses „Oh, ich könnte das nie“ nervt wirklich! Hey, halt den Mund, denke ich dann, natürlich könntest du, wenn es dich wirklich kümmern würde!

 

Letzen November hast Du auf Instagram offenbart, dass Du Tourette-Ticks hast. Hat dich das viel Mut gekostet?

Es ist etwas, womit ich schon immer gelebt habe. Aber online darüber zu sprechen, zeigt mir, welche Leute mich wirklich respektieren. Ich will einfach nicht auf diese Krankheit reduziert werden, so nach dem Motto: „Oh ja, das ist Billie Eilish mit Tourette“. Denn die Ticks sind nur ein kleiner Teil von mir, auch wenn es natürlich ein großer Teil meines Lebens ist.

 

Nachdem du dich „geoutet“ hattest, luden Leute auf Youtube Videos hoch wie „Compilation von Billie Eilishs Tourette-Ticks“.

Bei sowas frage ich mich schon: Zur Hölle, was soll das?! Es ist einfach so ärgerlich. Ich weiß nicht, ob ich es bedaure, dass ich meine Diagnose thematisiert habe. Aber ich schätze, ich bin froh. Es gab so viele Kommentare von Leuten, die sagten, dass sie auch Ticks haben. Als ich als Kind einen Jungen kennenlernte, der auch seltsame Ticks hatte, war das toll – vorher dachte ich, ich wäre die einzige. Wir haben uns angefreundet.

 

Welche Ticks hast du denn?

Plötzlich ist die Leitung tot. Hat Billie Eilish aufgelegt? Während die Pressefrau versucht, neu zu verbinden, beklagt sie, dass es noch gar nicht um die Musik ging. Stimmt. Plötzlich ist Billie wieder dran.    

 

Lass uns über Musik sprechen. Was ist Deine erste Erinnerung?

Es war immer Musik um mich herum, da kann ich keinen einzelnen Moment herausgreifen. Irgendjemand hat bei uns immer Klavier gespielt oder Gitarre, ich habe gesungen – schon immer. Meine Mutter gab kleinen Kindern Musikunterricht. Sie hat auch mir die ersten Töne beigebracht.

 

Glaubst Du, man kann mit Musik die Welt verändern?

Ich denke, Musik kann das – auf gute wie auch auf schlechte Weise. Songtexte können unsere Sichtweise auf die Dinge verändern, in die eine oder andere Richtung – je nachdem, was du hörst. Musik ist etwas, bei dem du nicht sagen musst, was du fühlst. Musik ist deine Stimme. Wenn du keinen hast, mit dem du reden kannst, oder keinen, der dich versteht, ist Musik dein kleiner verdammter Freund.

 

Wer sind deine Idole?

Childish Gambino, er hat meinen Modegeschmack geprägt. Dann Tyler The Creator, die Beatles, Takashi Murakami… Ich könnte Hunderttausende nennen, die mich inspiriert haben und zu der Person gemacht haben, die ich heute bin.

 

Du bist ein Social Media Star, aber in Konzerten bittest du deine Fans schon mal, ihre Handys auszuschalten. Wie passt das zusammen?

Ich mache das in jeder Show. Wir verlieren uns in unseren Smartphones, ohne es zu merken. Ich war selbst früher bei Konzerten und habe die ganze Zeit gefilmt. Und hinterher habe ich mich gefragt: Wo war ich in dem Konzert? Dann habe ich mir den Film angeschaut. Aber man schaut sich nicht wirklich das Konzert an, sondern nur eine gepixelte Version davon. Auf jeder Tour suche ich mir einen Song aus, bei dem ich in die Menge schaue und sage: Lasst uns alle für diesen einen Song im Moment leben. Es wird ihn nicht noch einmal geben, du kannst nie zu ihm zurückkehren. Du kannst alles nochmal genauso machen mit denselben Leuten, aber es wird nicht dasselbe sein. Und es funktioniert, wenn ich zu den Leuten sage, ich will nicht ein einziges Telefon sehen, ich will alle eure Gesichter sehen, ich möchte euch allen in die Augen sehen.

 

Was macht dich besonders stolz bei deinem Erfolg im Musikgeschäft?

Schwierige Frage. (Schweigt.) Wahrscheinlich mein starker Wille. Ich weiß irgendwie immer genau, was ich will – bis ins Detail. Und es macht mich vor allem stolz, dass ich das auch wirklich vermitteln kann. Zuerst dachte ich, ich könnte diese Kontrolle nicht haben, denn anfangs ist es im Musikgeschäft wie in der Schule: Du weißt nicht, was du willst, und dann sagen sie dir, was du tun sollst, und geben dir nicht die Chance, es selbst heraus zu finden. Aber ich wusste immer, was ich wollte, und habe sehr hart dafür gearbeitet, es zu vermitteln und es zu bekommen. Wenn ich etwas will, gehe ich und hole es mir.

 

 

 

ZUR PERSON

 

Die amerikanische Singer-Songwriterin Billie Eilish Pirate Baird O‘Connell (so ihr voller Name) wurde 2001 in Los Angeles geboren. „Sie könnte zum größten Popstar ihrer Generation werden“, schrieb kürzlich DIE ZEIT.Mit acht sang sie im Kinderchor, mit 13 nahm sie zusammen mit ihrem älteren Bruder Finneas einen Song für eine Tanz-Choreographie auf: Ocean Eyes. Sie luden den Song auf SoundCloud hoch – er wurde ein Hit. Wenige Wochen später unterschrieb Billie Eilish einen Vertrag beim Riesenlabel Interscope. Es folgten ein Dutzend Singles, zahlreiche Konzerte und Auftritte in US-Talkshows. Einen ihrer Songs hat Dave Grohl von den Foo Fighters gecovert, ein anderer untermalt einen Apple-Werbespot. Am 29. März ist ihr Debütalbum erschienen: „When we all fall asleep, where do we go?“.

 

Billie Eilish auf Instagram: @billieeilish

 

Der Beitrag erschien erstmals im Veganmagazin.

katrin