
Der Markt für pflanzliche Alternativprodukte ist hart umkämpft. Um mitzuhalten, müssen Hersteller aus Käufern Stammkunden machen – und neue Kunden gewinnen. Was dabei hilft: Zielgruppen genau zu kennen.
Nach der Ernüchterung im letzten Jahr steigen jetzt wieder die Umsätze mit veganen und vegetarischen Produkten. Klingt nach einer guten Nachricht? Nur bedingt: Der Anteil der günstigen Eigenmarken in den Regalen wächst rasant. In Kategorien wie pflanzlichem Joghurt und Käse haben sie laut Circana-Daten allein in einem Jahr über zehn Prozent zugelegt, bei Milch- und Fleischalternativen immerhin fünf Prozent. Die sinkenden Preise sind gut für die Konsumenten – aber weniger gut für Markenhersteller, deren Umsatz trotz steigender Verkaufszahlen nur moderat wächst.
Der Konkurrenzdruck nimmt weiter zu. Der Handel hat keine Gummiregale, die Hersteller kämpfen um Platz, Sichtbarkeit und Kundenbindung. Denn die Herausforderung ist klar: Sie müssen bestehende Kunden zu treuen Wiederkäufern machen – und neue Zielgruppen erschließen. Aber welche könnten das sein? Das kommt darauf an. Wer handgefertigten Cashewkäse verkauft, spricht andere Menschen an – oder dieselben Menschen anders – als der Hersteller von veganen Chicken Nuggets.
Die bunte Welt der Zielgruppen
Auch die Kundschaft von Unternehmen im B2B-Bereich wie zum Beispiel Herstellern von Inhaltsstoffen oder Maschinen braucht eine eigene Ansprache: Hier ziehen andere Kaufargumente, eine andere Tonalität, Informationstiefe und so weiter. Und dann gibt es noch viele weitere Zielgruppen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen: von den Einkäufern der großen Handelsketten über Journalisten, Investoren, Banken und NGOs bis hin zu Bewerbern und den eigenen Mitarbeitenden.
Doch so unterschiedlich diese Zielgruppen auch sind, sie haben eines gemein: In unserer Mediengesellschaft werden alle mit Informationen überflutet. Wer da wahrgenommen werden will, muss die Kommunikation exakt an seinen Zielgruppen ausrichten. Alles andere perlt an den Menschen ab wie Wasser an Teflon. Statt „One fits all“ braucht es passende Themen und Botschaften für jede Zielgruppe, adressatengerecht verpackt und zur richtigen Zeit über die richtigen Kanäle verbreitet. Und zwar ohne Widersprüche, so dass die Kommunikation wie aus einem Guss wirkt.
Jung, weiblich und flexitarisch
Damit Unternehmen dies gelingt, sollten sie sich ein möglichst genaues Bild machen von den demografischen Merkmalen, aber auch dem Lebensgefühl, den Interessen, Werten und der Mediennutzung ihrer Zielgruppen. So kommen vegetarische oder vegane Alternativen zu tierischen Produkten vor allem bei jungen Frauen häufiger auf den Teller. 18 Prozent der 14- bis 29-Jährigen und zwölf Prozent der 30- bis 44-Jährigen essen sie laut aktuellem Ernährungsreport des BMEL täglich – Frauen fast doppelt so häufig wie Männer.
Konsequent vegan ernähren sich gerade mal (oder immerhin) zwei Prozent der Menschen in Deutschland, vegetarisch schon acht Prozent. Das entspricht zwar fast einer Verdopplung im Vergleich zu 2020. Die große Masse aber kauft weiterhin ganz selbstverständlich tierische Lebensmittel – wenn auch zunehmend mit Vorbehalten: 41 Prozent der Deutschen bezeichnen sich schon als Flexitarier. Ob Stadt oder Land, macht dabei kaum noch einen Unterschied.
Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist billig
Als wichtigste Kaufgründe nennen Kunden Neugier, Tierwohl, Geschmack, Gesundheit und Umwelt – je nach Studie in unterschiedlicher Reihenfolge, aber meist ungefähr gleichauf. Umfragen zur Selbstbeschreibung sind allerdings mit Vorsicht zu genießen: Gerade bei Nachhaltigkeit und Tierschutz ist der Attitude-Behaviour-Gap besonders ausgeprägt. Das heißt, Konsumenten sind sich der Relevanz dieser Themen bewusst, greifen beim Einkaufen dann aber doch zum Tierprodukt – wegen des Preises oder der Macht der Gewohnheit.
Unternehmen dürfen sich also nicht allein auf die Political Correctness ihrer Produkte verlassen und andere Kaufanreize vernachlässigen. Vor allem, wenn man die jüngere Generation ansprechen will: Laut Shell-Jugendstudie wollen sich nur noch 62 Prozent der Befragten umweltbewusst verhalten – gegenüber 71 Prozent im Vorjahr. 43 Prozent der 12- bis 25-Jährigen fühlen sich zudem beim Umweltschutz bevormundet. Und nur gut die Hälfte (57 Prozent) ist für Einschränkungen beim Lebensstandard zugunsten der Umwelt.
Sehnsucht nach Unbeschwertheit
Damit einher geht die Sehnsucht nach Unbeschwertheit, zeigt die Nestlé-Studie „So isst Deutschland“. Besonders die Gen Z fühlt sich von Ernährungsfragen oft überfordert. Fast zwei Drittel der befragten 16- bis 27-Jährigen sagen, sie hätten nicht die Zeit, sich so zu ernähren, wie sie eigentlich möchten. Sie suchen Trost beim Snacken, während sie spätabends durch YouTube, Instagram und Tiktok scrollen. Die Social Media-Plattformen dienen ihnen immer häufiger zur Informationsbeschaffung, auch wenn klassische Medien wie TV und Zeitungen noch das größte Vertrauen genießen.
Gen Z und Millenials sind die Haupt-Zielgruppen für pflanzliche Milch-, Fleisch- und Fischalternativen. Ihre Ausgaben machen zusammen im Schnitt gut 40 Prozent der gesamten Ausgaben in diesen Kategorien aus, zeigen Daten von Nielsen IQ. Allein für Käsealternativen geben die Millenials mit fast 36 Prozent am meisten aus. Eine weitere Gruppe mit Potenzial ist die Gen X: Die Eltern der Gen Z sind bei den Ausgaben schon stark vertreten. Sie sind mit über 16 Millionen Menschen die größte Bevölkerungsgruppe in Deutschland – und haben die höchste Kaufkraft.
Zielgruppen der Top-Marken
Beispiele für eine erfolgreiche Zielgruppenansprache sind Top-Marken wie Rügenwalder Mühle, Oatly und Iglo Green Cuisine. Rügenwalder hat sich bei seiner Neupositionierung auf jüngere Zielgruppen fokussiert und die Marke deshalb stark emotionalisiert. Statt Probleme zu thematisieren, „hackte“ die Marke beispielsweise ein Taylor-Swift-Konzert mit der Ausschreibung für einen Wurstverkäufer-Job. Das Medienecho war riesig, laut Marketingchef Steffen Zeller entsprach der Anzeigenäquivalenzwert fast 40 Millionen Euro.
Bei Oatly gucke man nicht so sehr auf Zielgruppen, sagte Svenja Fitz, Geschäftsführerin DACH & Polen, kürzlich auf einer Konferenz. Es gehe vielmehr darum, so viele Menschen wie möglich dazu bewegen, pflanzliche Milch statt Kuhmilch zu nutzen. Aber mit ihrer provokanten und humorvollen Kommunikation hat die Brand es geschafft, Hafermilch vor allem bei Millenials als Lebensstil zu inszenieren.
Iglo wiederum spricht gezielt Kinder an. In den Comic-Filmen der Kampagne „Curious Kids“ fordern Kinder ihre Eltern mit hartnäckiger Fragerei heraus, die neuen veganen Dino-Nuggets und Fischstäbchen der Marke Green Cuisine zu probieren. Iglo greift dabei das Thema Ernährung und Klimawandel mit einem Augenzwinkern auf – und setzt gekonnt auf die Neugier der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Klare Ziele für klare Botschaften
Eng mit den Zielgruppen verknüpft sind die Kommunikationsziele. Denn je besser das Bild ist, das wir von unseren Zielgruppen entwickelt haben, desto genauer können wir unsere Ziele daran ausrichten. Was wollen wir mit unserer Kommunikation erreichen? Natürlich verkaufen, klar. Aber eine Umsatzsteigerung um fünf Prozent beispielsweise wäre ein Vertriebs- oder Marketingziel, das nicht nur von der Kommunikation abhängt, sondern auch von Produktqualität, Preisgestaltung, Verpackung, Service, Distribution und so weiter. Welche Ziele können wir nun aber mit der Kommunikation verfolgen?
Pressearbeit soll möglichst viele positive Veröffentlichungen bringen, eine Website möglichst viele Visits und ein Instagram-Post möglichst viele Likes. Neben solchen Verhaltenszielen gibt es aber auch noch die Wahrnehmungs- und Einstellungsziele, die auf der kognitiven bzw. emotionalen Ebene ansetzen und den Verkauf psychologisch vorbereiten. Bei der Kommunikation für pflanzliche Produktalternativen sind das meist Aufmerksamkeit, Wissensvermittlung und Aufklärung, Richtigstellung, Markenbekanntheit, Akzeptanz und Verständnis. Solche strategischen Kommunikationsziele sind die Basis für klare und gut formulierte Botschaften.
Wie kann man Einstellungen messen?
Die jeweiligen Kommunikationsziele lassen sich aus den Unternehmenszielen ableiten, die sich wiederum aus den Werten des Unternehmens ergeben. Bei vielen Unternehmen in der Plantbased-Branche sind das nicht allein wirtschaftlicher Erfolg und Selbsterhalt, sondern auch altruistische Ziele wie Umweltschutz, Tierwohl oder soziale Gerechtigkeit. Wahrnehmungen und Einstellungen lassen sich allerdings oft nur mit großem Aufwand messen – etwa durch Umfragen. Doch eine konkrete Definition der Kommunikationsziele ist wichtig, um die Maßnahmen effizient zu gestalten – und gegebenenfalls nachjustieren zu können. Hierfür muss ich allerdings klare Maße vorgeben wie zum Beispiel das Ziel, bei einer genau festgelegten Zielgruppe in einem bestimmten Zeitraum den Bekanntheitsgrad einer Marke um fünf Prozent zu erhöhen.
Die Mühe lohnt sich. Denn in einer Zeit des Content-Überflusses werden Differenzierung und ein klares Profil für Marken noch relevanter. Dafür brauche ich nicht nur gute Instinkte, sondern auch fundiertes Wissen über meine Ziele und Zielgruppen. Nur dann kann ich entscheiden, welches Thema ich wann spiele, wie ich es aufbereite und für welchen Kanal.
Dieser Beitrag ist Teil der Serie „Schritt für Schritt zur Kommunikationsstrategie für pflanzliche Alternativen“. Er erschien zunächst im NEWMEAT Magazin.
Teil 2: „Die Kunst der Positionierung“