Fermentieren ist zum Topthema geworden: Blogger, Foodies und Lifestyle-Medien schwärmen von Sauerkraut, Kimchi und Kombucha. Was ist dran an dem Hype? Und wie funktioniert das Gären in der heimischen Küche? Ein Selbstversuch.
Bakterien, Schimmelpilze, Enzyme: Die Zutaten beim Fermentieren klingen erst mal wenig appetitlich. Und die soll man nicht nur essen, sondern auch noch massenhaft selber züchten? Andererseits: Tee, Kaffee, Kakao, Sauerteig – schmeckt alles ganz gut und ist auch fermentiert. Mutig starte ich einen Selbstversuch: veganer Joghurt soll es sein! Denn genau wie Milchprodukte lassen sich auch pflanzliche Alternativen fermentieren.
Statt Kuhmilch nehme ich einfach meine selbstgemachte Mandelmilch als Basis. Dafür habe ich eine Handvoll Mandeln über Nacht eingeweicht und mit einem Liter Wasser und einer Prise Salz im Mixer püriert. Bei Sojajoghurt sorgen die in der Sojamilch enthaltenen Eiweiße für genug Festigkeit. Andere Milchalternativen reifen zwar, könnten aber flüssig bleiben. Zur Sicherheit mixe ich daher zwei Esslöffel Pfeilwurzelmehl und etwas Agar-Agar unter meine Mandelmilch. Dann lasse ich sie ein paar Minuten köcheln und fülle die Masse in ein Glas. Wenn sie auf 43 Grad heruntergekühlt ist, kommen zwei Löffel gekaufter Sojajoghurt nebst darin enthaltener veganer Milchsäurebakterien hinzu.
Doch damit die kleinen Milchsäurebakterien sich in meiner Mandelmilch fleißig vermehren und ihr den typisch säuerlichen Geschmack verleihen, braucht es Wärme und Geduld. Von beidem habe ich wenig hier im frischen Hamburg inmitten von Job und Kindern. Die komfortabelste Lösung wäre die Zubereitung im Joghurtbereiter. Praktisch wäre auch ein Dörrgerät, ein Reiskocher oder eine Heizdecke – die aber allesamt in unserem Haushalt nicht vorhanden sind. In Handtücher einwickeln und in die Sonne stellen? Schöne Idee, wenn nur die Wolken nicht wären! Statt auf tropisches Wetter zu warten, schiebe ich mein Joghurt-in-spe-Glas in den Backofen. Um die 43 Grad Celsius hätten die Bakterien gerne. Ich schalte den Ofen zwischendurch immer wieder aus, weil er sich sonst auf seine Mindesttemperatur von 50 Grad erhitzen würde. Sechs bis acht Stunden lang dauert die Prozedur, immer wieder messe ich besorgt die Temperatur wie bei einem fiebrigen Kind. Endlich ist der Ofen aus, das cremeweiße Etwas im Glas abgekühlt – und Bingo: cremig-fest und säuerlich-frisch wie „echter“ Joghurt. Geschafft!
Verhütungsmittel gegen Fäulnis
Fermentiertes ist nicht nur lecker, sondern auch nützlich: Unsere Großmütter machten mit dieser Technik ganz selbstverständlich Lebensmittel haltbar. So brachte im Winter, wenn der Garten nichts Frisches hergab, fermentiertes Gemüse die Vitamine. Möglich machen es Bakterien, die natürlicherweise auf Pflanzen und im Boden vorkommen. Milchsäurebakterien zum Beispiel wandeln die in Lebensmitteln enthaltenen Kohlenhydrate in Milchsäure um, die den pH-Wert senkt. In dem sauren Milieu können sich fäulniserregende Mikroorganismen nicht mehr vermehren, nur die für den Menschen nützlichen Bakterien überleben. Auch andere Bakterien, Pilze oder Enzyme können die Fermentation in Gang setzen.
Food-Kritikerin Annette Sabersky schwärmt: „Durch Fermentation verbessert sich die Bekömmlichkeit vieler Lebensmittel, zudem werden Nährstoffe besser verfügbar und unerwünschte Substanzen abgebaut.“ Zum Beispiel Oligosaccharide in Sojabohnen, die bei manchen Menschen Blähungen auslösen, oder Phytinsäure in Vollkorngetreide, die Mineralstoffe bindet. Milchsäurebakterien schützen zudem das Immunsystem: „Sie sorgen im Darm für ein gesundes Mikroklima und verhindern, dass sich krank machende Keime an der Darmschleimhaut festsetzen“, so Sabersky. Davon profitieren auch gerne Veganer: „Das Fermentieren bringt bei jeder Ernährungsform einen Mehrwert“, sagt der Ernährungsexperte Niko Rittenau. „Doch entscheidend für unsere Gesundheit ist die Gesamtheit unserer Ernährung. Wer sich vegan und vollwertig ernährt, also mit vielen Ballaststoffen, muss sich über seine Darmflora keine Sorgen machen.“ Kulinarisch hingegen sei Fermentiertes durchaus eine spannende Bereicherung: „Den Umami-Geschmack von fermentierten Lebensmitteln wie Umeboshi, Tempeh und Miso kennt man sonst eher nur von deftigen Fleischgerichten.“
Geschmeckt hat meiner Familie der DIY-Joghurt übrigens bestens. Jedenfalls, nachdem ich ihren Argwohn überlistet und ihn in neutrale Schälchen gefüllt, mit Apfelsirup gesüßt und mit frischen Beeren und Granola serviert habe. Wenn man Süßungsmittel weglässt, eignet sich der Joghurt auch wunderbar für herzhafte Gerichte, etwa einen leichten Kartoffelsalat, Tzatziki oder als Dip zu Falafel.
Einkaufs-Ratgeber
Wer sich nicht selber die Mühe machen will, für den gibt es im Handel immer mehr fermentierte Lebensmittel. Aber Obacht! Die meisten Industrieprodukte sind pasteurisiert, also erhitzt – was die wertvollen Mikroorganismen dahinrafft. Frische saure Gurken und Sauerkraut findet man manchmal auf dem Wochenmarkt oder in gut sortierten Gemüseabteilungen. Fermentierte, nicht pasteurisierte vegane Alternativen zu Frischkäse, Saurer Sahne, Joghurt und Quark von der Schweizer Marke Soyananda gibt es im Bioladen. Gereiftes Sauerteigbrot bekommt man beim Bäcker. Reformhäuser bieten fermentierte Naturheilpflanzen wie Rotklee oder Löwenzahn sowie Bio-Konzentrate.
Info: Milchsäure vegan?
Milchsäurebakterien heißen so, weil der Chemiker Carl Wilhelm Scheele sie 1780 zum ersten Mal in saurer Milch entdeckt hat. Sie sind nur dann nicht vegan, wenn sie auf tierischem Nährboden gezüchtet wurden. Vegane Joghurtkulturen gibt es als Trockenpulver im Onlinehandel und in der Apotheke – oder man nimmt einfach ein paar Löffel gekauften Sojajoghurt, da sind sie schon drin.
Dieser Artikel erschien zunächst in „VEGAN für mich“.