Eine Haushaltsreiniger-Flasche mit schiefem Etikett macht misstrauisch: Vielleicht stimmt mit dem Inhalt auch etwas nicht? Fast jeder Verbraucher greift im Supermarkt lieber zu Produkten mit einwandfreier Verpackung. Um höchsten Qualitätsansprüchen gerecht zu werden, setzt Henkel in seiner Produktion eigens entwickelte industrielle Bildverarbeitungssysteme ein: An den Transportbändern wachen Kameras, die blitzschnell alle wichtigen Eigenschaften der Gebinde überprüfen. Das spart Zeit und Kosten.
Die bisher üblichen Bildverarbeitungssysteme konnten jeweils nur einzelne Merkmale kontrollieren. Die überdies vorher genau bestimmt sein mussten – etwa, ob auf der Haushaltsreiniger-Flasche das Etikett richtig sitzt. Schon kleinste Änderungen an der Verpackung oder ein Wechsel des Produkts machten es erforderlich, das Bildverarbeitungssystem komplett neu zu konfigurieren. Doch wie ließen sich der Bedienungsaufwand und die Ausschussquote senken? Die Antwort fanden die Technologie-Entwickler aus der Zentralen Forschung und Technologie bei Henkel: mit einer völlig neuen Anwendung der digitalen Bildverarbeitung.
Statistische Kenngrößen statt einzelne Bildmerkmale
In nur drei Jahren entwickelte das Projektteam ein revolutionäres System visueller Bildkontrolle: die Multiattributkontrolle. Im Rahmen des Entwicklungsprojekts bearbeiteten die Spezialisten gemeinsam mit internen und externen Partnern Fragestellungen rund um Produktqualität und Prozesseffizienz.
„Die Multiattributkontrolle erfasst und analysiert nicht wie bisher nur einzelne Eigenschaften des Kamerabildes, sondern auf einen Blick alle relevanten Qualitätskriterien und Merkmale. Das System kann sie auch bei schnell laufenden Abfüllprozessen und verschiedenen Verpackungsarten automatisch überprüfen“, erläutert Dr. Stefan Strathmann, der für die Sensortechnologie innerhalb der Fachabteilung Technology Development verantwortlich ist. Niemand muss dem Überwachungssystem mehr aufwändig einprogrammieren, wo genau das Etikett auf der Spülmittelflasche zu sitzen hat. Sondern es werden einfach einige gute Flaschen durch das System geschleust: Der Hochleistungsrechner macht sich jeweils ein Bild davon und zerlegt es in hunderte kleine Quadrate. Für jedes Kästchen wird ein Durchschnittswert für bestimmte Parameter und die zulässige Abweichung festgelegt. Und schon kann das System selbständig alle Details der Flaschen prüfen, die auf dem Transportband vorbei ziehen: Ist der Verschluss richtig zu? Ist das Etikett faltenfrei? Hat die Flasche Beulen oder Kratzer? Sogar die Farbe und das Druckbild werden überprüft.
Anders als bei objektorientierten Bildverarbeitungssystemen analysiert der Computer nicht die Merkmale des Bilds selbst oder Abweichungen von diesen, sondern statistische Kenngrößen. Das System überprüft sie auf den einzelnen Produktansichten. Fehlerhafte Stücke, die die festgelegte Toleranz überschreiten, werden automatisch aussortiert. Kommen hintereinander mehrere fehlerhafte Produkte, weil zum Beispiel eine Etikettenrolle nicht richtig eingelegt wurde, kann das intelligente Bildverarbeitungssystem die Anlage stoppen; und der Anlagenfehler wird behoben. „Das vermeidet Ausschuss und senkt die Kosten in der Produktion“, freut sich Ralf Reifferscheidt, Leiter Technology Development.
200 Prüfungen pro Minute dank neuer Algorithmen
Sei Oktober 2007 läuft die Multiattributkontrolle in einer Pilotanlage für Haushaltsreiniger. Dafür entwickelte das Projektteam ganz neue Algorithmen. Die hauseigene Entwicklung besitzt im Vergleich zu marktüblichen Anlagen eine deutlich höhere Performance. Der Gesamtpreis liegt dabei deutlich unter dem Preis herkömmlicher Systeme.
Geeignet ist die Multiattributkontrolle für fast alle Abfüll- und Verpackungslinien. Die Bildverarbeitung kommt unabhängig von den Gebindemaßen mit zwei hoch auflösenden Farbmatrixkameras aus. Das Prüfen eines Gebindes dauert 300 Millisekunden. Die hundertprozentige Kontrolle aller Gebinde erhöht nicht nur die Qualitätssicherung. Großer Nutzen liegt auch darin, viele verschiedene Verpackungstypen sicher und kostengünstig zu beherrschen sowie Produkte schnell wechseln zu können.
Prozessüberwachung erkennt Störungen frühzeitig
Jede Menge Potenzial für die Zukunft besitzt auch ein neu entwickeltes Kamerasystem. Es klopft Prozesse ganzer Produktionslinien automatisch auf Schwachstellen ab. Mobile Kameras stehen dafür je nach Bedarf an den Transportbändern. Das ist viel weniger aufwändig, als den ganzen Prozess über fest installierte Einzelsensoren, genaues Beobachten und Analysieren zu überwachen. Das neue visuelle System nimmt Bildsequenzen des Laufverhaltens einer Produktionslinie auf und vergleicht sie mit Referenzsequenzen, die zuvor aufgenommen wurden. So kann es das Laufverhalten von Gebinden auf Abfüll- und Verpackungslinien selbständig wiedererkennen.
Ein einziges System erfasst dabei große Bereiche der Produktionslinie. Anhand der gespeicherten Sequenzen lassen sich anbahnende Störungen frühzeitig erkennen, die Ursachen von Fehlern aufspüren und Verpackungsabläufe systematisch optimieren.
Eine Investition, die sich mehrfach rechnet
Reifferscheidts Team aus dem Technology Development entwickelt fortschrittliche Querschnittstechnologien und Methoden für die Supply Chain, die Henkel benötigt, um im Wettbewerb optimal bestehen zu können. Dazu gehören neue Produktionstechnologien, Automatisierung und Sensortechnologie, digitale Planung und Optimierung sowie die industrielle Bildverarbeitung. Deren Möglichkeiten wachsen stetig, da die Leistung der Systeme bei gleichzeitig schrumpfenden Investitionskosten stetig steigt. Reifferscheidt: „Bildverarbeitung ist eine Investition, die sich mehrfach rechnet: Sie sichert Produkt- wie Prozessqualität und schafft zudem Transparenz – die Basis von Optimierungen.“